OLG Oldenburg, Beschluss vom 12.8.2021
Aktenzeichen 12 W 99/19 (PS)

Stichpunkte

Interessante Entscheidung im Zivilverfahren um Eheschließung ohne Identitätspapiere; anerkannten Flüchtlingen ist Kontaktaufnahme zur Botschaft nicht zumutbar; Grundrecht auf Eheschließungsfreiheit gebietet Möglichkeit des Identitätsnachweises durch eidesstattliche Versicherungen; Ausführungen zu den vom Standesamt vorzunehmenden Aufklärungsmöglichkeiten

Zusammenfassung

Das Oberlandesgericht (OLG) weist das Standesamt an, die von einem eritreischen Paar beantragte Eheschließung vorzunehmen. Die Verlobten sind beide anerkannte Flüchtlinge. Das Standesamt hatte die Eheschließung abgelehnt, da Identitätsnachweise fehlten. Die in Deutschland ausgestellten Dokumente wie Aufenthaltstitel und Reiseausweis waren mit der Einschränkung versehen, dass die Personalien auf eigenen Angaben beruhten. Dagegen hatten die Verlobten beim Amtsgericht (AG) beantragt, das Standesamt zu verpflichten, die Eheschließung vorzunehmen, da der Mann über eine ID-Karte aus Eritrea, eine Geburtsurkunde und eine Ledigkeitsbescheinigung, die Frau über eine Geburtsurkunde verfüge. Nach Ansicht des AG reichte dies für einen Identitätsnachweis der Frau jedoch nicht. Die Geburtsurkunde belege nur Namen der Person sowie Tag und Ort der Geburt. Nur ein amtlicher Lichtbildausweis belege die Identität. § 9 Abs. 2 Personenstandsgesetz (PStG) ermögliche zwar den Nachweis unter anderem durch eidesstattliche Versicherungen zu ersetzen. Die Voraussetzungen hierfür, nämlich die Unzumutbarkeit, die nötigen Papiere zu besorgen, sah das AG jedoch nicht gegeben. Unter Berufung auf ein Gutachten führte das AG aus, es sei dem Paar zuzumuten, sich um die Beschaffung von Personalpapieren bei der eritreischen Botschaft zu bemühen. Nach Aussage des Gutachters sei die Botschaft bereit, den in Deutschland lebenden Eritreern Reisepässe und andere amtliche Dokumente auszustellen. Dies gelte auch für anerkannte Flüchtlinge und vor dem Hintergrund, dass wahrscheinlich eine sogenannte Diasporasteuer in Höhe von 2 % des Nettoeinkommens verlangt werde.

Das OLG widerspricht dem. Es stellt zunächst fest, dass zwar für eine Eheschließung, anders als bei einer Geburt oder im Sterbefall, die Personenstandsdaten gesichert sein müssten und nicht durch Hinzufügung von Zweifelszusätzen beurkundet werden könnten. Die durch Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte Eheschließungsfreiheit führe aber dazu, dass der Nachweis, falls anders nicht zu erbringen, durch eidesstattliche Versicherungen der Betroffenen oder Dritter geführt werden könnte.

Anerkannten Flüchtlingen sei es, anders als Menschen mit subsidiärem Schutzstatus, nicht zuzumuten, von ihrer Botschaft Ausweispapiere zum Nachweis der Identität zu besorgen. Eine individuelle Zumutbarkeitsprüfung käme wegen der Rechtsfolgen von § 72 Abs. 1 Nr. 1 Asylgesetz (Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft) von vornherein nicht in Betracht.

Im vorliegenden Fall hatte das Gericht zwei Brüder der Frau eidlich vernommen, die ihre Identität zur Überzeugung des Senats bestätigten.

Entscheidung im Volltext:

olg_02_08_2021 (PDF, 89 KB, nicht barrierefrei)

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