BSG, Urteil vom 4.11.2021
Aktenzeichen B 6 KA 16/20 R

Stichpunkte

Positive höchstrichterliche Entscheidung im Sozialgerichtsverfahren im Streit um Anspruch nicht zugelassener Psychotherapeut*innen auf Ermächtigung zur Behandlung traumatisierter Empfänger*innen von Leistungen nach § 2 AsylblG; Therapeut*innen können Ermächtigung verlangen und die Psychotherapien auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen abrechnen; Beginn der Behandlung innerhalb der ersten 18 Monate des Aufenthaltes nicht erforderlich

Zusammenfassung

Das Bundessozialgericht (BSG) stellt fest, dass anerkannte, aber kassenärztlich nicht zugelassene Therapeut*innen einen Anspruch auf Ermächtigung zur Behandlung traumatisierter Geflüchteter auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen haben. In dem zugrundeliegenden Verfahren klagt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) gegen den Berufungsausschuss für Ärzte und Psychotherapeuten, der eine dem Verfahren beigeladene Psychotherapeutin zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung ermächtigt hatte. Die Beigeladene ist anerkannte Psychotherapeutin, war aber bislang nicht zur Versorgung von Versicherten der Krankenkassen zugelassen. 2017 hatte sie beim Zulassungsausschuss (ZA) eine Ermächtigung zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung von Empfänger*innen von Leistungen nach
§ 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen von Gewalt erlitten haben, beantragt. Hintergrund war eine 2015 wegen der starken Zunahme von traumatisierten (geflüchteten) Personen neu geschaffene Regelung des § 31 Abs. 1 Satz 2 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV), mit der dem wachsenden Therapiebedarf begegnet werden sollte. Danach
wird es ermöglicht, dass auch Ärzt*innen und Therapeut*innen ohne (kassenärztliche) Zulassung von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) die Ermächtigung zur psychotherapeutischen Behandlung von traumatisierten Geflüchteten verlangen können, wenn nach der Frist von 18 Monaten ein Anspruch auf sog. analoge Leistungen entsteht und die Zuständigkeit vom Sozialamt zu den gesetzlichen Krankenkassen wechselt. Der ZA hatte den Antrag der Therapeutin aber mit der Begründung abgelehnt, die Regelung solle nur verhindern, dass Menschen, die unmittelbar nach ihrer Ankunft in Deutschland schon wegen einer Traumatisierung psychologisch behandelt wurden, mit Eintritt des Leistungsanspruchs nach § 2 AsylbLG und Zuständigkeitswechsel die Behandler wechseln müssen, wenn diese nicht zur Versorgung von Versicherten zugelassen seien. Die Beigeladene habe aber nicht belegt, Geflüchtete schon in den ersten Monaten ihres Aufenthaltes in Deutschland therapeutisch behandelt zu haben. Auf ihren Widerspruch gegen diese Entscheidung wurde die beigeladene Therapeutin ermächtigt. Hiergegen klagte wiederum die KV. Die Klage wurde vom Sozialgericht (SG) mit der Begründung abgewiesen, nach dem Wortlaut des
§ 31 Abs.1 Satz 2 Ärzte-ZV sei die Ermächtigung zur Versorgung traumatisierter Menschen nach ihrer Ankunft in Deutschland nicht auf Therapeut*innen beschränkt, die die Geflüchteten schon vor Entstehen des Anspruchs nach § 2 AsylbLG versorgt hätten.

Das Bundessozialgericht bestätigt diese Auffassung des SG mit umfassenden Erläuterungen zu dem von der Verordnung verfolgten Zweck der Verbesserung und Erweiterung der Versorgungssituation psychisch erkrankter Geflüchteter. So solle die Vorschrift nicht allein der Vermeidung von Therapieabbrüchen dienen, sondern dem akuten Behandlungsbedarf des betroffenen Personenkreises gerecht werden, indem der Kreis möglicher Behandler*innen erweitert würde, um überlange Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz zu vermeiden.

Entscheidung im Volltext:

bsg_04_11_2021 (PDF, 225 KB, nicht barrierefrei)

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