VG Freiburg, Urteil vom 19.1.2023
Aktenzeichen A 4 K 1443/21

Stichpunkte

Positive Entscheidung im Asylverfahren um Flüchtlingsanerkennung für von Genitalverstümmelung bedrohte Nigerianerin; umfassende Ausführungen zur Praxis der Genitalverstümmelung in Nigeria; geschlechtsspezifische Verfolgung

Zusammenfassung

Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einer minderjährigen Nigerianerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Klägerin wurde 2019 in Deutschland mit nigerianischer Staatsangehörigkeit geboren. Der von ihren Eltern für sie gestellte Asylantrag wurde abgelehnt. Die Eltern hatten als Asylgrund drohende Genitalverstümmelung angegeben, da schon die Mutter als Kind beschnitten worden sei und dies in der Familie eine zentrale Bedeutung habe. Das VG sieht hierin eine geschlechtsspezifische Verfolgung i.S.d. § 3b Abs.1 Nr. 4b Asylgesetz (AsylG) aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe als gegeben. Diese könne auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht anknüpfe.

Das Gericht führt zum einen aus, dass es keine klare Überzeugung davon gewinnen konnte, dass Mutter oder Vater die Klägerin vor einer Genitalverstümmelung schützen könnte, da diese jeweils in deren Großfamilien gängige Praxis sei und einen hohen Stellenwert habe. Genitalverstümmelung sei zwar seit 2015 per Bundesgesetz verboten, in den einzelnen Bundesstaaten seien jedoch entweder keine entsprechenden Gesetze verabschiedet oder sie würden nicht umgesetzt, so dass die Praxis nach wie vor weit verbreitet sei. Das Gericht führt hierzu zahlreiche Länderberichte an. Die Entscheidung für oder gegen Beschneidung sei danach keine individuelle der Eltern sondern vielmehr der Großfamilie und Gemeinschaft.

Die daraus gewonnenen Erkenntnisse legten nah, dass der Klägerin im Falle der Rückkehr Genitalverstümmelung drohe und ihre Eltern sie nicht davor schützen würden. Das Gericht habe auch nicht die Überzeugung gewonnen, dass die Eltern klar gegen eine Beschneidung seien und sich dem Druck der Großfamilie widersetzen würden. Auch sei nicht erkennbar, dass die Eltern sich zum Schutz der Klägerin mit dieser in einem anderen Landesteil Nigerias niederlassen und die damit verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf sich nehmen würden.

Entscheidung im Volltext:

Vg_freiburg_19_01_2023 (PDF, 661 KB, nicht barrierefrei)

Gefördert vom
Logo BMFSFJ
KOK ist Mitglied bei

Kontakt

KOK - Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.
Lützowstr.102-104
Hof 1, Aufgang A
10785 Berlin

Tel.: 030 / 263 911 76
E-Mail: info@kok-buero.de

KOK auf bluesky