OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.6.2021
Aktenzeichen 7 StS 3/19

Stichpunkte

Umfangreiche Entscheidung des Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) im Strafverfahren wegen u.a. Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (Islamischer Staat, sog. IS), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (mit Todesfolge) durch Versklavung, Verfolgung, Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Vergewaltigung, Freiheitsberaubung (mit Todesfolge), Körperverletzung zulasten von jesidischen Frauen und Mädchen, Terrorismusfinanzierung

Zusammenfassung

Das OLG verurteilt die Angeklagte A wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (IS) in Tateinheit mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Todesfolge durch Versklavung, einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Verfolgung, Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Vergewaltigung, Freiheitsberaubung von über einer Woche Dauer, Freiheitsberaubung mit Todesfolge und mit Körperverletzung (alles zulasten von jesidischen Frauen und Mädchen) zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten.

Zugleich verurteilt das OLG die Schwiegereltern von A, die Angeklagte C und den Angeklagten B u.a. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (IS) und Terrorismusfinanzierung. Es verurteilt die Angeklagte C zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten; den Angeklagten B verurteilt es zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren.

Das OLG hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Die zuvor in Deutschland lebende A hatte sich bereits früh radikalisiert und dem IS zugewandt. Sie begab sich Anfang November 2013, im Alter von 15 Jahren, mit dem Ziel nach Syrien, sich im Kampf gegen das syrische Regime und am Aufbau eines islamischen Staates nach den Regeln der Scharia zu beteiligen. Im Januar 2014 heiratete sie dort nach islamischem Recht den ebenfalls aus Deutschland stammenden I.B., den Sohn der Angeklagten C und B. I.B., hatte sich mit seinem Bruder bereits früher dem IS angeschlossen und betätigte sich selbst mitgliedschaftlich für die (terroristische) Organisation. A gebar drei Kinder, die sie während ihrer Zeit bis Oktober 2017 im gemeinsamen Haushalt mit I.B. versorgte und sich im Übrigen um die Haushaltsführung kümmerte. Gemeinsam mit I.B. nahm sie übergangsweise Neuankömmlinge für den IS auf und versuchte darüberhinausgehend Familienangehörige – so mehrfach ihre Schwester und deren Ehemann – zur Reise nach Syrien zu bewegen, damit sie ebenfalls dem IS dienen. Für ihre Tätigkeit erhielten A und I.B. von der Organisation einen monatlichen Geldbetrag von 118 USD. A und I.B. hielten in diesen Jahren teilweise zur gleichen Zeit fünf jesidische Frauen und zwei minderjährige jesidische Mädchen als Sklavinnen fest, die Hausarbeit und Einkaufsgänge für sie verrichteten sowie die gemeinsamen Kinder von A und I.B. betreuen mussten. Eines dieser versklavten jesidischen Mädchen kam im Herbst 2017 bei einer Einkaufsfahrt mit I.B. durch Schüsse, auf einer bereits am Vortag unter Beschuss gestandenen Straße, zu Tode. Gegenüber I.B. hatten mindestens zwei Geschädigte nach der IS-Ideologie sexuell gefügig zu sein. Bei „Fehlverhalten“ wurden sie von A geschlagen. A hielt es nach den Regeln des IS für geboten, wenn I.B. die Frauen teilweise gewaltsam gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr zwang. Sie bestärkte ihn in seinem Handeln und wies die Betroffenen vor dem Geschlechtsakt auch an, bestimmte Kleidung anzuziehen, sich zu duschen und zu rasieren. A lebte mit ihren Kindern bis zu ihrer Flucht 2017 durchgängig im IS-Gebiet. Nach ihrer Flucht wurden sie durch die türkischen Behörden nach Deutschland abgeschoben. Am Flughafen in Deutschland wurden die Kinder von A getrennt und durch das Jugendamt in Obhut genommen. A saß bis zur Urteilsverkündung in Untersuchungshaft. I.B. wurde nach der Flucht in der Türkei festgenommen und zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe unter Verhängung eines Ausreiseverbots verurteilt. Er wurde vorzeitig aus der Haft entlassen.

C und B, die Eltern von I.B. und dessen Bruder, unterstützten diese im Zeitraum von Oktober 2013 bis Mitte 2015 in Kenntnis von deren IS-Mitgliedschaft. Sie wirkten arbeitsteilig an der Beschaffung, Sammlung und dem Transport von Waffenzubehör und Ausrüstungsgegenständen mit, die bei Kampfhandlungen islamistischer Kämpfer gegen Angehörige des syrischen Militärs in Syrien zum Einsatz kommen sollten.

Das OLG hat den umfangreichen Sachverhalt durch eine entsprechend ausführliche Beweiswürdigung festgestellt. Bemerkenswert ist, dass das OLG den vorliegenden Sachverhalt gründlich in das Vorgehen des IS gegen die kurdische Bevölkerung jesidischen Glaubens in der Region um das Sinjar-Gebirge im Nordwesten Iraks einordnet. In diesem Zusammenhang erläutert das OLG deutlich, was unter Versklavung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) zu verstehen ist und verweist auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9. Februar 2021, AK 5/21, das auf die Legaldefinition des Art. 7 Abs. 2c des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut) Bezug nimmt. Danach umfasst „Versklavung“ die Ausübung des Eigentumsrechts an einer Person. Weil es von Rechts wegen allerdings kein solches Eigentumsrecht an einer Person gibt, stellt das OLG klar, dass der Tatbestand der Sklaverei eine de facto vergleichbare Behandlung umfasse, bei der Täter*innen einen Menschen ihren Willen und Interessen unterwerfen und diesem die Freiheit absprechen, selbstbestimmt zu handeln. Wesentliche Indizien dabei seien die Kontrolle der Bewegungsfreiheit der Betroffenen, ihre Verletzlichkeit, Misshandlungen und die wirtschaftliche Beherrschung oder Ausnutzung der betroffenen Person. Nicht zwingend erforderlich sei es dagegen, dass Betroffene entgeltlich oder gegen eine sonstige Vergütung „erworben“ oder wieder „veräußert“ wurden bzw. die Ausübung des „Eigentumsrechts“ von längerer Dauer ist. Diese Aspekte könnten jedoch starke Indizien für eine Versklavung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 VStGB sein.

Zur Strafbarkeit des Menschenhandels führt das OLG aus, dass die zugleich verwirklichten Straftatbestände des schweren Menschenhandels gemäß § 232 Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB), des besonders schweren Menschenhandels gemäß § 232 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und S. 2, Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB und des Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft gemäß § 233 Abs. 1 StGB, in der bis zum 14. Oktober 2016 geltenden Fassung, aufgrund der hohen Strafbarkeit wegen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 3 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) nicht vom Strafmaß umfasst werden.

 

Entscheidung im Volltext:

OLG_Düsseldorf_16_06_2021 (PDF, 805 KB, nicht barrierefrei)

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