SG Landshut, Teilurteil vom 9.3.2023
Aktenzeichen S 1 BA 3/21

Stichpunkte

Positive Entscheidung im Sozialgerichtsverfahren zur Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für Saisonarbeitnehmer*innen; Voraussetzungen einer zeitgeringfügigen Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGV IV; Beschäftigung von Saisonarbeitskräften aus Niedriglohnländern erfüllt im Regelfall das Merkmal der Berufsmäßigkeit; keine unwiderlegliche Vermutung einer versicherungsfreien Beschäftigung durch Angabe des Status als Hausmann

Zusammenfassung

Das Sozialgericht (SG) stellt die Sozialversicherungspflicht rumänischer Saisonarbeitskräfte fest und weist die Klage eines Landwirts gegen die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen teilweise ab.

Der Kläger beschäftigte in den Jahren von 2015 bis 2018 rumänische Saisonarbeitskräfte. Einige hatten auch schon in den Vorjahren für den Kläger gearbeitet. Nach ihren Arbeitsverträgen war die Beschäftigung jeweils auf 70 Tage begrenzt. Darüber hinaus unterschrieben die Saisonarbeitskräfte einen maschinell vorausgefüllten Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht. Die Frage „Sind Sie Hausfrau/Hausmann?“ bejahten alle Saisonarbeitskräfte, ohne weitere Angaben zur Dauer ihrer Hausmannseigenschaft zu machen. A-1-Bescheinigungen des rumänischen Sozialversicherungsträgers lagen nicht vor. Die Saisonarbeitskräfte wiesen nahezu keine weiteren Einkommen nach.

Das SG lehnt für die Saisonarbeitskräfte das Vorliegen einer zeitgeringfügigen Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) ab. Zum einen handele es sich bereits nicht um kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse: Setze ein*e Arbeitgeber*in den*dieselben Arbeitnehmer*innen jedes Jahr erneut zur Spargelernte ein, handele es sich gerade um eine regelmäßig wiederkehrende befristete Beschäftigung.

Darüber hinaus lägen keine zeitgeringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vor, da die Saisonarbeiter*innen überwiegend berufsmäßig im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGV IV handelten. Eine berufsmäßige Ausübung einer Beschäftigung liege vor, wenn sie für die Arbeiter*innen nicht nur von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung sei und diese ihren Lebensunterhalt überwiegend oder in einem solchen Maße daraus bestreiten, dass ihre wirtschaftliche Lage davon erheblich abhänge. Entscheidend sei der Anteil, den das Arbeitsentgelt aus der geringfügigen Beschäftigung am Jahreseinkommen der Betroffenen ausmache. Dies sei bereits ab einem Betrag von 10 % des Jahreseinkommens denkbar. Es reiche aus, wenn die Person zumindest teilweise auf die Vergütung zur Bestreitung des existenziellen Lebensunterhalts angewiesen sei.

Vorliegend lagen keine Informationen zu sonstigen Einkommen der Saisonarbeitskräfte vor. Aus dem Umstand, dass die Erntehelfer*innen aus Rumänien ihre Haushalte für Wochen oder Monate verließen, um ein vielfach höheres Einkommen in Deutschland zu erlangen, schloss das SG somit bereits, dass es sich um eine existenzsichernde und damit berufsmäßig ausgeübte Beschäftigung handele. Bei der grenzüberschreitenden Beschäftigung von Saisonarbeitskräften aus Niedriglohnländern sei das Merkmal der Berufsmäßigkeit in der Regel erfüllt.

Eine Berufsmäßigkeit sei auch nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil sich die Saisonarbeitskräfte als „Hausmänner“ bezeichnet hatten. Der Status als „Hausmann“ setze voraus, dass diese Person dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe und der Lebensunterhalt anderweitig gesichert sei. Allein das Ankreuzen des Feldes „Hausmann“ im „Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht/Versicherungsfreiheit rumänischer Saisonarbeitnehmer“ reiche zum Nachweis dieser Eigenschaft nicht aus. Darüber hinaus weist das SG darauf hin, dass auch bei unterstellter Hausmannseigenschaft eine Berufsmäßigkeit in Betracht komme. Dienten die Einkünfte aus der zeitgeringfügigen Beschäftigung der Existenzsicherung und damit dem Lebensunterhalt, liege die Berufsmäßigkeit dennoch – wie auch im vorliegenden Fall – auf der Hand.

Das SG bestätigte nach all dem die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 10.873,64 EUR.

Kernpunkte

Sozialversicherungsbeiträge für Saisonarbeitskräften aus Niedriglohnländern

Merkmal der Berufsmäßigkeit

 

Entscheidung im Volltext:

 

SG_Landshut_09_03_2023 (PDF, 74 KB, nicht barrierefrei)

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