Kurzfassung der Stellungnahme:
Der KOK begrüßt grundsätzlich den Vorschlag für einen neuen Rahmenbeschluss des Rates „zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz von Opfern sowie zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI“ vom 25.03.2009 mit dem Ziel, neben einer Verbesserung der Strafverfolgung auch eine bessere Anerkennung der Rolle des Opfers[1] im Strafverfahren zu erreichen. Wir nehmen weiterhin Bezug auf die Stellungnahme der Sachverständigengruppe Menschenhandel der Europäischen Kommission vom 29.04.2009 und unterstützen diese.
Der KOK stellt in seiner Stellungnahme die Probleme und Empfehlungen aus Sicht der Praxis dar. Im Einzelnen nehmen wir wie folgt Stellung:
Artikel 1: Straftaten im Zusammenhang mit Menschenhandel
Der KOK begrüßt die Tatsache, dass mit Hilfe des Entwurfes die nationalen voneinander abweichenden strafrechtlichen Vorschriften angeglichen bzw. vereinheitlicht werden sollen. Bislang ist nach Auffassung der Kommission in den Mitgliedstaaten der internationale Rechtsrahmen für die Bekämpfung des Menschenhandels nur unzureichend und uneinheitlich umgesetzt. Daher ist davon auszugehen, dass der neue Rahmenbeschluss über die Harmonisierung der Ansätze zu einer verbesserten internationalen Vernetzung und zu einer Stärkung in der internationalen Zusammenarbeit führen wird. Ebenso positiv ist, dass zusätzliche Formen der Ausbeutung, wie der Tatbestand der Betteltätigkeit und auch der Tatbestand der „rechtswidrigen Handlungen“ identifiziert und definiert werden, obwohl letzterer unserer Auffassung nach genauer gedeutet werden sollte. Unserem Verständnis nach liegen nach dem Strafgesetzbuch dann rechtswidrige Handlungen vor, wenn die Handlung zur Rechtsordnung im Widerspruch steht, wobei die Rechtsordnung die Gesamtheit der rechtlichen Normen umfasst.
2. Artikel 6: Keine Verhängung von Sanktionen gegen Opfer
Der KOK gibt zu bedenken, dass der genaue Inhalt dieser Bestimmung nicht hinreichend klar umschrieben ist. Generell vertritt der KOK die Auffassung, dass das Prinzip der Nichtverhängung von Sanktionen gegen Opfer für sämtliche Straftaten gelten müsste, welche in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Menschenhandel stehen, das heißt, wenn die Betroffenen zu diesen Straftaten gezwungen worden sind. Wenn dies der Fall ist, fordert der KOK, dass das Prinzip „keine Verhängung von Straftaten“ als eine Ist-Bestimmung für alle Mitgliedstaaten eingeführt wird.
3. Artikel 7: Ermittlung und Strafverfolgung
Artikel 7 des Rahmenbeschlusses zielt darauf hin, Strafverfahren wegen Menschenhandels unabhängig von der Anzeige durch die Betroffenen durchführen zu können. Nach Auffassung des KOK muss dabei folgender Gesichtspunkt bedacht werden: Spätestens ab dem Zeitpunkt der Kooperation der Betroffenen mit den Strafverfolgungsbehörden und der Einleitung von Strafverfahren begeben sich die Betroffenen sowie ihre Angehörigen in vielen Fällen in eine Gefährdungssituation. Wenn Betroffene die Aussage zurückziehen und, wie in Artikel 7 Nr. 1 beabsichtigt, die Strafverfahren trotzdem weiter fortgesetzt werden, müssen deshalb Schutzmaßnahmen für die Opfer eingeleitet bzw. fortgesetzt und gesichert werden, da die Gefährdung nach wie vor bestehen kann.
Die weiterhin in Artikel 7 angesprochene Sensibilisierung von Personen, Stellen oder Diensten, die für die strafrechtlichen Ermittlungen zuständig sind, wird vom KOK begrüßt. Wir möchten anregen, dass bei diesen Schulungen die spezialisierten Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel eingebunden werden.
4. Artikel 9: Schutz besonders gefährdeter Opfer von Menschenhandel im Strafverfahren
Der KOK begrüßt es, wenn für in besonderem Maße gefährdete Opfer spezielle Schutzmaßnahmen eingeleitet werden. Wenn der Artikel 9 jedoch dahingehend interpretiert werden sollte, dass dieser Schutz nur für die Gruppe von besonders gefährdeten Opfern von Menschenhandel gilt, ist dies aus Sicht des KOK nicht nachzuvollziehen, da dies implizierte, es gäbe „einfach“ gefährdete Betroffene, die nicht in den Genuss von Schutzmaßnahmen kommen müssten. Opfer von Menschenhandel sind aber generell unmittelbar gefährdet.
Nach Auffassung des KOK müssen somit alle Betroffenen des Menschenhandels ungehinderten Zugang zu unentgeltlicher Rechtsberatung, rechtlicher Vertretung sowie der Beantragung einer Entschädigung haben. Für alle Betroffenen des Menschenhandels müssen opferschutzrechtliche Bestimmungen vor, während und nach dem Strafverfahren eingeleitet werden. Über Schutzmaßnahmen muss immer fallspezifisch entschieden werden, es darf aber keine künstliche Einteilung in Gruppen geben, die in der Konsequenz einer Gruppe Maßnahmen vorenthält.
5. Artikel 10: Unterstützung der Opfer
Nach Artikel 10 Nr. 1 bedürfen Opfern von Menschenhandel vor, während und nach den Strafverfahren Unterstützung. Art. 10 Nr. 4 führt die während der Strafverfahren notwendigen Maßnahmen auf. Der KOK begrüßt grundsätzlich alle aufgezählten opferunterstützenden Maßnahmen. Allerdings möchte der KOK auf eine zeitliche Lücke hinweisen, die nicht in Art. 10 berücksichtigt wird, nämlich die Bedenk- und Stabilisierungszeit. Der KOK fordert seit vielen Jahren, d die Unterstützung Betroffener unabhängig von ihrer Kooperationsbereitschaft bzw. von Unentschlossenen. Diese ist aus menschenrechtlichen Grundsätzen, aber auch im Rahmen der Gewinnung von ZeugInnen notwendig. Insbesondere den Zeitraum der Bedenk- und Stabilisierungsfrist ist hier von großer Bedeutung. Die Bedenk- und Stabilisierungsfrist ist aber noch nicht als Zeitrahmen vor dem Strafverfahren zu werten, da sich in dieser Zeit die Betroffenen erst entscheiden, ob sie kooperieren möchten. Das Strafverfahren ist folglich noch nicht eingeleitet. Art. 10 sollte deshalb dringend um den Zeitraum der Bedenkzeit ergänzt werden und unabhängig von der Kooperationsbereitschaft der Betroffenen gelten. .
Artikel 10 Nr. 2 sagt aus, dass die Strafverfolgungsbehörden für die Identifikation von Opfern zuständig sind, wenn sie Anhaltspunkte für Menschenhandel erkennen. Der KOK gibt zu bedenken, dass hier spezifiziert werden sollte, welches diese Anhaltspunkte sind. Ferner gibt der KOK zu bedenken, dass auch Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel Betroffene identifizieren und beraten, die keinen Kontakt zu Strafverfolgungsbehörden haben, aber trotzdem anspruchsberechtigt sind. Der KOK empfiehlt daher, Artikel 10 Nr. 2 dahingehend zu ergänzen, dass auch FBS die Identifikation von Betroffenen von Menschenhandel durchführen können.
Gemäß Artikel 10 Nr. 3 ist eine Zusammenarbeit zwischen den Fachberatungsstellen und den Strafverfolgungsbehörden gewünscht, um frühzeitig Betroffene zu identifizieren. Der KOK begrüßt diese Maßnahmen. In Deutschland existiert auf Bundesebene eine Kooperationsvereinbarung, welche als Empfehlung für die Bundesländer zur Weiterentwicklung und zur Erstellung eigener Konzepte zu verstehen ist. Die Erfahrungen in Deutschland haben gezeigt, dass die Kooperationsvereinbarungen zu positiven Effekten geführt haben. Allerdings sind Opferbetreuungsorganisationen häufig nur unzureichend finanziell abgesichert und die personellen und sachlichen Kapazitäten sehr eingeschränkt, was eine beständige und gleich bleibende Kooperation erschwert. Der KOK fordert eine ausreichende und angemessene Finanzierung der Beratungsstellen.
6. Artikel 12: Prävention
Der KOK begrüßt, dass die Mitgliedstaaten regelmäßige Schulungen der PolizeibeamtInnen fördern und durchführen sollen. Jedoch nicht nur PolizeibeamtInnen kommen mit Betroffenen in Kontakt, ebenso bestehen Kontaktmöglichkeiten mit weiteren Berufsgruppen, welche daher ebenfalls Sensibilisierungsmaßnahmen durchlaufen sollten, zum Beispiel MitarbeiterInnen der Ausländerbehörden, der Finanzdienstkontrolle Schwarzarbeit, der Staatsanwaltschaft, NebenklägerInnen, RichterInnen, Beratungsstellen und Botschaften. Der KOK gibt weiterhin zu bedenken, dass Nichtregierungsorganisationen, anders als öffentliche Stellen, häufig keine Mittel haben, um derartige Fortbildungen zu finanzieren. Der KOK fordert daher abschließend, im Bereich der Fortbildungen für Mitarbeiterinnen der Fachberatungsstellen in Artikel 12 Nr. 2 hinzuzufügen, dass die Mitgliedstaaten regelmäßige Schulungen nicht nur fördern, sondern auch für ausreichende Finanzierungsmöglichkeiten sorgen müssen.
7. Artikel 13: Kontrolle
Der Entwurf sieht vor, dass die Mitgliedstaaten erforderliche Maßnahmen treffen sollen, um nationale Berichterstattungsstellen einzusetzen oder gleichwertige Mechanismen einzuführen. Dies begrüßt der KOK, möchte aber auch darauf hinweisen, dass bei der Einrichtung einer solchen Stelle grundlegende Prinzipien beachtet werden müssen. Zunächst ist es wichtig, dass die Stelle politisch und parteilich unabhängig ist und über ausreichende finanzielle Ressourcen verfügt. Zudem wäre es sinnvoll, wenn die Stellen in den verschiedenen Mitgliedstaaten in Bezug auf ihre Struktur und Voraussetzungen ähnlich wären. Damit würden gleiche Standards vorliegen, welche zu einer verbesserten Bewertung bzw. Vergleichsmöglichkeiten der Berichterstattungsstellen und letztlich der Berichte führen würden. Der KOK empfiehlt weiterhin, dass die Einrichtung der Berichterstattungsstellen interdisziplinär sein sollte, alle Formen des Menschenhandels berücksichtigen muss und keine Doppelungen zu bereits bestehenden Strukturen entstehen bzw. vorhandene Einrichtungen in die Entwicklung miteinbezogen werden sollen. Die Einrichtung dieser Stellen sollte weiterhin unabhängig von Legislaturperioden erfolgen.
Berlin, den 22.07.09
[1] Der Rahmenbeschluss verwendet die Terminologie „Opfer“, die wir hier beibehalten. Wir weisen aber darauf hin, dass sie von einigen Stellen als problematisch angesehen wird, diese ziehen die Bezeichnung „Betroffene“ vor.