Am 09.04. wurde von Union und SPD der neue Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode des deutschen Bundestags vorgestellt. Die Regierungsparteien haben darin weitreichende Entscheidungsabsichten festgehalten, die sowohl unmittelbar als auch indirekt Auswirkungen für das Handlungsfeld Bekämpfung von Menschenhandel und Unterstützung der Betroffenen haben. Zunächst fällt auf, dass eine explizite Erwähnung von Menschenhandel allein unter der irreführenden Überschrift „Prostituiertenschutzgesetz“ erfolgt.
Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und Zwangsprostitution sind jedoch lediglich ein Ausschnitt eines sehr viel größeren Deliktsbereichs. In Deutschland werden nicht allein Frauen so ausgebeutet. Von Menschenhandel betroffen sind alle Geschlechter. Und es gibt sehr viel mehr Ausbeutungsformen, die einerseits strafrechtlich stärker verfolgt werden müssen und wo Betroffene deutlicher Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Rechte erfahren müssen. Dazu gehört aus Sicht des KOK beispielsweise auch ein Bleiberecht für Betroffene des Menschenhandels.
In zahlreichen Arbeitssektoren werden Menschen ausgebeutet. In Deutschland ist zu beobachten, dass insbesondere in den Bereichen Bau, Landwirtschaft, Hotellerie, Gastronomie, Pflege und Transport Arbeitnehmendenrechte massiv verletzt und schwere Ausbeutungsverhältnisse an der Tagesordnung sind. Deutschland ist also bei weitem nicht allein „Drehscheibe“, sondern längst Tatort. Auch der Menschenhandel zur Ausbeutung der Bettelei oder zur Begehung krimineller Handlungen muss durch die künftige Bundesregierung adressiert werden, gerade in Zeiten, in denen immer mehr Menschen in Deutschland, Europa und weltweit von Armut bedroht sind und sich in prekären Lebensverhältnissen befinden. Vor diesem Hintergrund muss klar sein, dass die Einschränkung regulärer Migrationswege Menschen gegenüber Ausbeutung und Zwangssituationen noch verletzlicher macht. Wird der Zugang zu Schutz, Unterstützung und zu Sozialleistungen weiter eingeschränkt, erhöht sich die Vulnerabilität.
Der KOK begrüßt:
- Bezugnahme auf die Universalität, Unteilbarkeit und Unveräußerlichkeit der Menschenrechte, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Rechtsakte des Europarats
- das Festhalten an der im vergangenen Jahr beschlossenen Gewaltschutzstrategie im Sinne der Istanbul-Konvention und die Entwicklung eines nationalen Aktionsplans, um geschlechtsspezifischer Gewalt entgegenzuwirken.
- das Bekenntnis zum Gewalthilfegesetz
- die Erhöhung des Mindestlohns
- die Förderung der Psychosozialen Zentren
- das Bekenntnis zu mehr Rechtssicherheit für gemeinnützige Vereine
- die Absicht, die Arbeit am Gesetz gegen digitale Gewalt fortzuführen
- die Bundesförderung von Childhood-Häusern, für Kinder und Jugendliche, „die körperliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch erfahren haben“
- die Fortführung des Fonds sexueller Missbrauch
KOK-Empfehlungen für die Ausarbeitung des detaillierten Regierungsprogramms
Strategische Maßnahmen:
- Selbstverpflichtung zu einer konsequenten Umsetzung des Nationalen Aktionsplans gegen
Menschenhandel (NAP) und des Nationalen Aktionsplans gegen Arbeitsausbeutung und
Zwangsarbeit (NAP A/Z). - Bekräftigung des politischen Willens zur Bekämpfung des
Menschenhandels und Verbesserung der Kohärenz von Maßnahmen durch die Einsetzung einer Koordinierungsstelle. - Gewährleistung eines nachhaltigen, unabhängigen Monitorings zum Thema Menschenhandel
nach den Empfehlungen der Europaratskonvention durch eine gesetzliche Grundlage für die
Arbeit der Berichterstattungsstelle Menschenhandel am Deutschen Institut für Menschenrechte. - Etablierung eines Nationalen Verweisungsmechanismus mit betroffenensensiblem Ansatz
sowie der systematischen Identifizierung und dem Schutz von Betroffenen.
Maßnahmen im Bereich Strafverfolgung:
- umfassende Reform der Menschenhandels- und Ausbeutungstatbestände im Sinne der §§ 232 ff. StGB zur effektiven Strafverfolgung.
- Stärkung der Rechte von Betroffenen im Strafverfahren und Schulungen für die Bundespolizei zum Opferschutz bei Menschenhandel
- Einführung einer Cybersicherheitsagenda, die den Schutz Betroffener und die Bekämpfung digitaler Gewalt umfasst.
Maßnahmen zum Opferschutz:
- über die konsequente Umsetzung des Gewalthilfegesetzes hinaus: Schaffung eines
flächendeckenden Unterstützungs- und Unterbringungsangebots für Betroffene aller Ausbeutungsformen. - Sicherung von Aufenthaltsrechten, Lebensunterhalt und Zugang zum Recht für Betroffene; spezifische Maßnahmen für minderjährige Betroffene.
- Stärkung und nachhaltige Förderung einer unabhängigen Zivilgesellschaft durch finanzielle und programmatische Unterstützung.