Fallbeispiele

Die Verwendung von Fallbeispielen finden wir an sich problematisch, da die Fachberatungsstellen immer wieder um möglichst sensationelle Geschichten von Opfern gebeten werden. Insbesondere seitens der Medien herrscht ein enorm voyeuristisches und instrumentalisierendes Interesse.

Gleichwohl ist die Darstellung von Fallbeispielen zur Verdeutlichung der geschilderten Missstände und ihre Auswirkungen auf das Leben der Frauen notwendig. Zur Wahrung der Anonymität sind die hier geschilderten Einzelfälle zum Teil leicht verändert.

Die vorliegende Sammlung stellt lediglich eine Auswahl dar.

Fallbeispiel 1

Frau G. lernt Herrn S. während eines Urlaubs kennen. Nach seiner Abreise stehen sie über längere Zeit in Briefkontakt. Irgendwann macht Herr S. Frau G. einen Heiratsantrag. Die Ehe wird mit Zustimmung von Frau S. geschlossen. Frau G. gibt ihr kleines Lebensmittelgeschäft auf, nimmt alle Habseligkeiten mit und reist mit Herrn S. nach Deutschland ein. In Deutschland erfährt Frau G. zum ersten Mal, dass Herr S. für die legale Einreise und die Eheschließung nach Deutschland Kosten in Höhe von 7.000 € bezahlt hat. Er legt ihr ein gefälschtes Dokument vor. Herr S. hat einen Bauernhof und setzt Frau G. in Kenntnis, dass er wegen des Kredits vorübergehend sein Personal entlassen müsse. Frau G. arbeitet rund um die Uhr auf dem Bauernhof und hat keinen Kontakt zur Außenwelt. Trotz ihres sich verschlechternden Gesundheitszustandes verlangt Herr S. regelmäßig sexuellen Kontakt von ihr. Einem Arzt wird sie nicht vorgestellt. Jedesmal, wenn sie sich traut, sich zu beschweren, wird er aggressiv und droht ihr, die Ehe aufzulösen, sie zurückzuschicken und ihre Familie für die entstandenen Kosten in Anspruch zu nehmen. Diese Vorstellung allein ist für Frau G. ein Albtraum und so fügt sie sich. Nach einem Jahr und neun Monaten meint Herr G., er hätte nun genug von ihr. Er gibt der Ausländerbehörde bekannt, dass die Ehe nicht fortbesteht. Frau G. muss ausreisen. Sie steht vor dem Nichts. Herr S. reist ein viertel Jahr später wieder in den Urlaub und bahnt neue Kontakte an. 

Fallbeispiel 2

Frau F. wendet sich in Thailand an eine Heiratsvermittlungsagentur und zahlt 3.500 €, um in einen Katalog aufgenommen zu werden. Dieses Geld kann sie nur durch eine Hypothek auf das Land ihrer Eltern aufbringen. Ihr wird zugesagt, dass sie in Deutschland mehrere Männer kennen lernen wird. Auch wird ihr zugesagt, dass sie sich aussuchen kann, wen sie heiraten möchte. In Deutschland wird sie mehreren Männern vorgestellt, die offenbar von der Agentur die Erlaubnis haben, alles machen zu dürfen. Einige der Männer suggerieren ihr, sie heiraten zu wollen, um somit ihr Einverständnis für Sexualität zu erlangen. Danach brachten sie Frau F. aber wieder zur Agentur zurück und holten sich die nächste heiratswillige Frau. Einer der Männer hatte keinerlei sexuelles Interesse, sondern war 90 Jahr alt und hoffte durch die Eheschließung eine kostengünstige Pflegekraft zu gewinnen. Bis Frau W. schließlich eine Ehe eingehen konnte, wurde sie von 2 Männern sexuell ausgebeutet, während ein Dritter ihre Arbeitskraft ausgebeutet hat. (aus KOK "Frauen handeln", 2001)

Wie Sie anhand dieser beiden Beispiele – die nicht aus der Luft gegriffen sind - sehen konnten, befinden sich die betroffenen Frauen in einem totalen Abhängigkeitsverhältnis von ihrem künftigen, vermeintlichen oder tatsächlichen Ehemann oder aber anderen Dritten wie unseriösen Agenturen, Menschenhändlern und Vermittlern. Eine Facette dieses Handels ist die Schuldknechtschaft: angebliche Schulden für die Vermittlung eines Ehemannes, die Reise und die Einreisegenehmigung nach Deutschland sollen zurückgezahlt werden. Dies bringt die Frauen in einen enormen Druck und macht sie erpressbar, ausbeutbar. Aufgrund des bewusst gesteuerten Schuldendrucks sehen die Frauen sich dann gezwungen, menschenunwürdige Forderungen hinsichtlich der Eheschließung zu erfüllen.

Die Problematik der Frauen besteht einerseits darin, dass sie die tatsächlichen Beweggründe einer Eheschließung nicht kennen können. Die gesetzliche Regelung des eheabhängigen Aufenthaltes ist letztlich eine ständige Bedrohung für die Migrantinnen. Durch das Wissen, dass eine Rückkehr ins Herkunftsland oftmals familiäre Probleme, materielle Not, gesellschaftliche Ausgrenzung und damit einen sozialen Abstieg beinhaltet, entsteht für viele Migrantinnen der Druck, in der Ehe zu verbleiben. Wahlmöglichkeiten zur Änderung der Situation bestehen aus Sicht dieser Frauen nicht – u.a. aus Unkenntnis der rechtlichen Möglichkeiten und Hilfsangebote in Deutschland.

weitere Fallbeispiele mitgeteilt von Elisabeth Mach-Hour, Rechtsanwältin, iaf-München, entnommen aus: Schattenbericht des KOK e.V., Januar 2000, Ehebestandszeit damals noch 4 Jahre

Fallbeispiel 3

Frau T., Philipinin, wurde über ein Heiratsinstitut per Touristenvisum nach Deutschland geholt. Offiziell besuchte sie hier ihre Cousine. Bei ihrer Ankunft wurden ihr Pass und Rückflugticket abgenommen und sie wurde einem deutschen Mann „vorgestellt“. Sie geriet dabei an einen Landwirt, der schon einmal angeklagt war, seine eigene Mutter vergewaltigt zu haben. Die Frau wurde von der Polizei in eine Frauenhaus gebracht, nachdem sie knapp ein Jahr verheiratet war. Die Nachbarn konnten nicht mehr mit ansehen, wie sie behandelt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war sie hochschwanger und mußte alle Arbeiten, auch Feldarbeiten in der Landwirtschaft, verrichten. Außerdem wurde sie von ihrem Mann geschlagen. Sie konnte kein deutsch und nur wenig englisch. Nach kurzer Zeit im Frauenhaus kehrte sie zu ihrem Mann zurück. Wenig später war sie wieder im Frauenhaus, diesmal auf Vermittlung des Krankenhauses, in dem sie gerade ihr Kind bekommen hatte. Erst jetzt erzählte sie den Beraterinnen, daß sie deshalb zu ihrem Mann zurückkehrte, weil sie Angst hätte, ohne ihr Kind ins Heimatland zurückgeschickt zu werden. Ihre Schwiegermutter hatte ihr gesagt, daß sie keinerlei Rechte habe, wenn sie nicht mindestens drei Jahre bei ihrem Mann bleibe.

Fallbeispiel 4

Frau D., Brasilianerin, ist seit 3 ½ Jahren verheiratet. Während der Ehe erkrankte sie an Krebs und fand nicht den notwendigen Beistand des Ehemannes für die Gesundung. Wenn Frau D. nicht das tut, was ihr Mann wünscht, droht er ihr, sie „rauszuschmeißen“. Sie sagt, sie kann sein Schreien nicht mehr ertragen. Ihr Ehemann ist über die ausländerrechtliche Situation genau informiert. Er verlangt von ihr, daß sie einen Ehevertrag unterschreibt, in welchem sie auf Unterhalt und den Rentenausgleich verzichtet. Sonst geht er nicht mit ihr zur Ausländerbehörde, um ihren Aufenthaltsstatus zu verlängern. Frau D. hätte nach dreijähriger Ehe bereits Anspruch auf unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Zu einer Antragstellung kam es nicht wegen ihrer Krankheit und wegen der Probleme mit dem Ehemann. Ich kann ihr nicht zusagen, dass ihr Fall als Härtefall anerkannt wird, wenn sie sich trennt. Sie entschließt sich deshalb, das halbe Jahr noch auszuhalten.

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