Lebenssituation

Die Situation von Frauenhandel betroffener Frauen ist von tiefer und umfassender Demütigung und Entwürdigung durch TäterInnen gekennzeichnet. Bei der Anwerbung in den Herkunftsländern werden die Frauen zum Teil über ihre tatsächliche Tätigkeit in Deutschland getäuscht und dann in die Prostitution gezwungen, mit psychischer und / oder physischer Gewalt in der Prostitution ausgebeutet, erpresst und unterdrückt. 

Beispiele der Gewalt und Ausbeutung:

  • mit Drohungen und List werden sie oftmals mit falschen Papieren ausgestattet oder ihnen werden die Papiere weggenommen 
  • von ihnen werden sexuelle Praktiken erzwungen, die sie freiwillig nicht verrichten würden 
  • durch sexuelle oder körperliche Gewalttaten, die Verabreichung von Alkohol und Medikamenten werden sie gefügig gemacht 
  • sie werden unter Druck gesetzt z.B. durch Vortäuschung guter Verbindungen zur Polizei 
  • ihnen wird gedroht, dass die Familie über die Arbeit in der Prostitution informiert wird oder ihnen selbst bzw. ihren Angehörigen Gewalt angetan wird 
  • sie müssen den größten Teil ihres Verdienstes oder alle Einnahmen abgeben 
  • oft sollen sie tatsächlich oder angeblich entstandene Schulden abarbeiten (Schuldknechtschaft)

Manche Frauen wussten, dass sie in der Prostitution arbeiten sollen und haben sich aus unterschiedlichen Gründen dafür entschieden zu migrieren, um in der Prostitution Geld zu verdienen und dadurch ihren Lebensstandard und ihre Lebensperspektiven im Herkunftsland zu verbessern. Aber auch diese Frauen sind dann Opfer von Menschenhandel, wenn sie nicht selbstbestimmt arbeiten können, ausgebeutet und erpresst werden.

Häufig wird Prostitution mit Frauenhandel und Zwangsverhältnissen gleichgesetzt. Beide Begrifflichkeiten werden vermischt und führen dadurch zu falschen Darstellungen und zu pauschalen Stigmatisierungen von Prostituierten. Prostitution ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Menschenhandel – nicht jede Prostituierte ist von Frauenhandel betroffen. 

Es ist sehr wichtig, hier genauestens zu differenzieren. Prostitution ist in Deutschland erlaubt und die Entscheidung jeder Frau, die selbstbestimmt in der Prostitution arbeiten möchte, ist zu respektieren. Frauenhandel - formaljuristisch als Menschenhandel im Strafgesetzbuch erfasst - sind Straftaten und Menschenrechtsverletzungen, die entsprechend verurteilt und geahndet werden müssen. 

Den Frauenhandel begünstigende Faktoren

Selbstverständlich sind die TäterInnen Hauptakteure und Hauptschuldige der eklatanten Menschenrechtsverletzungen an Frauen. Aber es gibt weitere Faktoren, die den Frauenhandel begünstigen. Die Einwanderungspolitik Deutschlands ist wie in den meisten europäischen Staaten sehr restriktiv. Grundsätzlich sind die Einwanderungsmöglichkeiten für MigrantInnen nach Deutschland eng gestaltet. Ein Aufenthaltsrecht für Deutschland zu erlangen, ist nur unter sehr begrenzten Voraussetzungen möglich (z.B. durch Heirat oder einen Asylantrag). Eine legale Arbeitsmigration nach Deutschland ist nahezu unmöglich.

  • Rechtlich gesehen benötigen Menschen, die in Deutschland arbeiten wollen und Nicht-EU-BürgerInnen sind, eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Jedoch gibt es z.B. kaum eine Möglichkeit zum Zwecke der Arbeitsaufnahme nach Deutschland einzureisen. 
  • Der Besitz eines Touristenvisums berechtigt nicht zur Arbeitsaufnahme.  
  • Auch Frauen aus den neuen EU-Ländern erhalten in den nächsten Jahren keinen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Sie können lediglich als Selbständige arbeiten und sind dann eigenständig für die Sicherung ihres Lebensunterhalts verantwortlich.  

Das heißt auch für den Bereich der Prostitution: Sobald eine Migrantin aus einem Nicht-EU-Staat der Prostitution nachgeht, arbeitet sie illegal und verstößt somit gegen aufenthaltsrechtliche  Regelungen - egal, ob sie freiwillig arbeitet oder gezwungen wird. Werden die Frauen von der Polizei bei der Prostitution angetroffen und kontrolliert, kann  dies zu einer Abschiebung führen. Es wird eine Wiedereinreise-Sperre verhängt, die den Frauen für mindestens drei Jahre verbietet, in einen der EU-Staaten einzureisen. Zur Durchsetzung der Ausreisepflicht können die Frauen sogar in Abschiebehaft genommen werden. Es sei denn, sie werden als Betroffene des Frauenhandels erkannt und anerkannt - dann werden verschiedene Rechtsinstrumente wirksam, die Betroffene vor voreiligen Ausweisungen oder Abschiebungen schützen - mehr siehe unter Bedenkfrist.

Frauen aus den neuen EU-Ländern, die nicht selbständig und damit illegal arbeiten, können zwar deshalb nicht zwangsläufig ausgewiesen werden, jedoch werden sie wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt und sind ebenfalls aufgefordert, Deutschland zu verlassen.  

Angst und Misstrauen als ständige Begleiter der Betroffenen

Unter den genannten Formen des Zwangs und der aufenthaltsrechtlichen Gegebenheiten ist es für von Frauenhandel betroffene Frauen sehr schwer, dieser menschenverachtenden Situation zu entkommen. Permanente Druckmechanismen der Täter, die ständige Überwachung und die Isolation verfehlen ihre Wirkung nicht –betroffene Frauen sehen kaum einen Ausweg aus ihrer Situation. Flucht und Kontaktaufnahme zur Polizei oder zu Beratungsstellen sowie eine Rückkehr in das Herkunftsland sind für die Frauen sehr erschwert. Betroffene Frauen haben häufig Angst vor der Polizei und den Behörden sowie vor der Ausweisung oder der Abschiebung. 

Ihnen fehlt häufig die Orientierung in Deutschland und die deutsche Sprache, um Hilfe suchen zu können. Zusätzlich erleiden betroffene Frauen durch die kontinuierliche Gewalteinwirkung und Fremdbestimmung oftmals schwere psychische Schädigungen, sie sind traumatisiert und befinden sich häufig in einem schlechten gesundheitlichen Zustand. Es ist bekannt, dass traumatische Erlebnisse sowohl langfristige  als auch tiefgreifende Persönlichkeitsveränderungen zur Folge haben können. Viele Frauen fühlen sich zudem mitschuldig an ihrer Situation, weil sie sich vermeintlich leichtgläubig auf Versprechungen eingelassen haben. 

Frauenhandel wird also in den seltensten Fällen aufgrund einer Strafanzeige der Betroffenen aufgedeckt, denn wegen ihrer spezifischen Situation – aufgrund der Illegalisierung, des Drucks der Täter und / oder ihrer psychischen Situation - haben die Betroffenen faktisch selten die Möglichkeit, sich aus ihrer Situation zu lösen und diese Straftaten aktiv anzuzeigen. 

"(Eine Freundin)...war wirklich zuverlässig und bestärkte mich darin, zur Polizei zu gehen und dort meine Geschichte zu erzählen." Also bist Du eines Tages hingegangen? "Nein, nicht sofort, nicht in Bostorf. Ich war ja überzeugt, dass die Bostorfer Polizei im Rotlichtgeschäft heftig mit drinhing, deshalb traute ich den Bullen nicht. Sie machte den Vorschlag, dass ich mich der Berliner Polizei stelle. Aber ich hatte Schiss wegen meines abgelaufenen Visums." Ja, so gesehen hast Du Dich strafbar gemacht. "Genau. Und abgeschoben werden, zurück nach Jalta? Da wäre ich gleich wieder aufgegriffen worden. Ich überlegte, immer wieder. Bis mein Leben unter Perücken und in Verstecken einfach nicht mehr auszuhalten war. Ihr habt doch so ein schönes Wort im Deutschen: Leidensfähigkeit. Die war bei mir am Ende. Also setzte ich alles auf eine Karte und sagte aus. Es war nicht leicht, aber letztlich ein Befreiungsschlag." 

(Rücker, Nina: Ela. Das Mädchen, das durch die Hölle ging. München 2002)

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