LAG München, Urteil vom 24.1.2012
Aktenzeichen 6 Sa 806/11

Stichpunkte

Arbeitsgerichtsverfahren um Lohnansprüche eines bulgarischen Arbeitnehmers für Arbeit auf einer Baustelle in München; Ausführungen zur Haftung der deutschen Bauunternehmerin als Bürge für den bulgarischen Subunternehmer nach § 14 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) auf Zahlung des Mindestlohns; umfassende Ausführungen zur Schlüssigkeit der dargelegten Arbeitsstunden; Ausführungen zum unzulässigen Verzicht auf Mindestlohn gemäß § 9 AEntG; zur Auswirkung und Wirksamkeit von in Deutsch verfassten, vom sprachunkundigen Arbeitnehmer unterzeichneten (unwahren) Erklärungen.

Zusammenfassung

Das Landesarbeitsgericht (LAG) München verwirft die Berufung der Beklagten gegen ihre Verurteilung durch das Arbeitsgericht München auf Lohnzahlungen an den Kläger. Die Beklagte hat ein Bauunternehmen. Für ein Bauvorhaben in München hatte sie eine in Bulgarien ansässige Firma als Subunternehmen beauftragt. Bei dieser war der Kläger angestellt und wurde von Mai bis Oktober 2009 auf der Baustelle in München eingesetzt. Der Kläger war von seinem Arbeitgeber bei den Sozialkassen der Bauwirtschaft in Deutschland gemeldet worden. Die jeweiligen Beiträge zahlte die Beklagte in Absprache mit der bulgarischen Firma. Dazu erhielt sie von dieser jeweils monatliche Stundenzettel über die Arbeit des Klägers. Der des Deutschen unkundige Kläger hatte im August 2009 mehrere auf Deutsch verfasste Erklärungen unterzeichnet. Hierin bestätigte er, den tariflichen Mindestlohn von mindestens 12,40 Euro zu erhalten und keine ausstehenden Lohnforderungen mehr zu haben. In Wirklichkeit hatte er aber nur unregelmäßige Abschlagszahlungen und einen durchschnittlichen Stundenlohn von ca. 5,- Euro bekommen.
Nachdem die Beklagte ihren Vertrag mit dem bulgarischen Arbeitgeber des Klägers gekündigt hatte, stellte der Kläger seine Arbeit im Oktober 2009 ein. Vor dem Arbeitsgericht (ArbG) München erhob er Klage gegen die Unternehmerin auf die noch von seinem bulgarischen Arbeitnehmer geschuldeten Lohnansprüche, da dieser nicht den Mindestlohn gezahlt hatte. Das deutsche Bauunternehmen hafte gemäß § 14 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) als Bürge für den bulgarischen Subunternehmer. Die Parteien streiten insbesondere darum, ob die geltend gemachten Stunden unter anderem durch die Stundenzettel hinreichend nachgewiesen sind. Außerdem ist die Beklagte der Ansicht, der Kläger habe durch die von ihm unterzeichneten Erklärungen, den Mindestlohn zu erhalten, ein erhöhtes Bürgenrisiko für sie geschaffen, beziehungsweise seine Ansprüche seien dadurch erloschen.

Das Arbeitsgericht hatte dem Kläger Recht gegeben.
Das Landesarbeitsgericht bestätigt das Urteil. Die Beklagte haftet als Bürge für das von ihr beauftragte bulgarische Unternehmen auf Zahlung des Mindestlohns. Das LAG macht umfassende Ausführungen dazu, warum die Arbeitszeit des Klägers durch die Stundenzettel auch hinreichend dargelegt ist. 
Das LAG führt ferner umfangreich aus, dass die vom Kläger unterzeichnete Erklärung einen nach § 9 Satz 1 AEntG unwirksamen Verzicht auf den Mindestlohn darstellt.
Weiter legt das Gericht dar, dass die Ansprüche des Klägers auch nicht durch Unterzeichnung falscher Auszahlungslisten oder unwahrer Erklärungen erloschen sind, da diese auf Deutsch verfasst waren, der Kläger der deutschen Sprache jedoch nicht mächtig war und keine Übersetzungsmöglichkeiten hatte.

Entscheidung im Volltext:

LAG_Muenchen_24_01_2012 (PDF, 1,3 MB, nicht barrierefrei)

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