VG Potsdam, Urteil vom 23.10.2012
Aktenzeichen VG 6 K 896/11 A

Stichpunkte

Entscheidung im Asylverfahren; Gericht spricht Irakerin Abschiebeschutz wegen drohender Zwangsverheiratung zu; umfangreiche Auswertung von Studien zur Situation insbesondere alleinstehender Frauen im Irak

Zusammenfassung

Das Verwaltungsgericht spricht der Klägerin Schutz vor einer Abschiebung in den Irak zu, bestätigt jedoch die Ablehnung ihres Asylantrages.

Die Klägerin ist Irakerin mit yezidischem Glauben. Sie war 2010 über die Türkei aus dem Irak nach Deutschland gekommen, da sie in ihrer Heimat gegen ihren Willen verheiratet werden sollte. Ihr Vater war unter Druck gesetzt worden, sie mit einem seiner Cousins zu verheiraten. Ein Onkel hatte ihr geholfen, das Land zu verlassen. Das Bundesamt für Migration hatte ihren Asylantrag abgelehnt. Insbesondere drohe ihr keine Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zur yezidischen Religion. Ihre Angaben zu einer drohenden Zwangsverheiratung hielt das Bundesamt für unglaubhaft.

Das Verwaltungsgericht sieht zwar auch keinen Asylgrund gegeben, glaubt jedoch den Schilderungen der Klägerin zu den Umständen ihrer Zwangsverheiratung und verpflichtet deswegen das Bundesamt, einen Abschiebeschutz nach § 60 Absatz 7 Satz 1 des  Aufenthaltsgesetzes festzustellen. Danach soll nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem den Betroffenen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Das Gericht stellt fest, dass hierfür nicht schon die theoretische Möglichkeit einer Rechtsverletzung ausreicht. Vielmehr muss eine individuelle Gefährdungslage mit erhöhter Wahrscheinlichkeit landesweit vorliegen.

Das Gericht nimmt zur Einschätzung der Situation der Klägerin im Falle einer Rückkehr umfangreiche Auswertungen verschiedener Studien zur Situation insbesondere alleinstehender Frauen im Irak vor. Diese hat sich nach allen Berichten erheblich verschlechtert. Frauen werden Opfer von Übergriffen und Verfolgung und sind in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Dies gelte gerade für alleinstehende Frauen, die nicht im Schutz von Familie oder eines Clans stehen. Insbesondere ihnen drohe die Gefahr, Opfer von MenschenhändlerInnen zu werden.

Das Gericht kommt infolgedessen zu dem Ergebnis, dass die Klägerin im Irak kein selbstbestimmtes Leben würde führen können. Der Erwerb des Lebensunterhaltes würde für die Klägerin, die vor ihrer Ausreise als Näherin gearbeitet hatte, unmöglich sein, da ihr entweder die bei Yeziden übliche Zwangsverheiratung drohen würde oder die Tötung im Falle der Weigerung. Eine Niederlassung in einem anderen Gebiet des Iraks sei für sie als alleinstehende Frau nicht möglich.

 

Entscheidung im Volltext:

vg_potsdam_23_10_2012_01.pdf

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