EuGH, Urteil vom 19.9.2013
Aktenzeichen C-140/12

Stichpunkte

Entscheidung im Vorabentscheidungsverfahren; Erörterung zur Europarechtsmäßigkeit des Ausschlusses von EU-BürgerInnen vom Bezug von Sozialhilfeleistungen in einem anderen Mitgliedsstaat; Ausführungen zum Begriff der Sozialhilfe; kein automatischer Ausschluss zulässig, sondern Prüfung, ob Zahlung Sozialsystem unangemessen belastet

Zusammenfassung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellt im Vorabentscheidungsverfahren in seinem Urteil fest, dass Österreich dem deutschen Kläger die monatliche Zahlung einer Ausgleichszulage nicht mit dem Hinweis verweigern darf, dass er nicht rechtmäßig in Österreich lebe, da er nicht über ausreichende Existenzmittel verfüge.
Der Kläger zog 2011 mit seiner Ehefrau von Deutschland nach Österreich um. Das Paar lebte von der Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers in Höhe von 863 Euro und 225 Euro Pflegegeld. Der Rentner beantragte daher die österreichische sogenannte `Ausgleichszulage´, mit der das Einkommen bis zu bestimmten Mindestsätzen aufgestockt wird. Die österreichische Pensionsversicherungsanstalt lehnte seinen Antrag ab, da er aufgrund unzureichender Existenzmittel keinen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich habe. Auf seine Klage gegen diesen Bescheid, verpflichtete das Oberlandesgericht Graz die Pensionsversicherungsanstalt zur Gewährung der Ausgleichszahlung. Hiergegen legte wiederum die Versicherungsanstalt Revision beim Obersten Gerichtshof ein. Dieser legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vor, insbesondere mit der Frage, ob die Ausgleichszahlungen als `Sozialhilfeleistung´ im Sinne der Freizügigkeitsrichtlinie (Richtlinie 2004/38) einzuordnen ist. Nach Artikel 7 Absatz 1 der Freizügigkeitsrichtlinie dürfen EU-BürgerInnen nur dann länger als drei Monate in einem anderen EU-Staat bleiben, wenn sie Krankenversicherungsschutz sowie eine Erwerbstätigkeit oder andere ausreichende Einkünfte für ihren Lebensunterhalt nachweisen können, so dass sie nicht `unangemessen´ auf Sozialhilfeleistungen angewiesen sind.
In seiner Entscheidung betont der EuGH auf der einen Seite den hohen Stellenwert des Freizügigkeitsrechts für die Menschen in der EU.  Andererseits wolle EU-Recht aber auch vermeiden, dass EU-BürgerInnen Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates `unangemessen in Anspruch nehmen´.  Auch die Ausgleichszulage für RentnerInnen sei eine solche `Sozialhilfeleistung´, weil sie der Existenzsicherung diene. Der Gerichtshof stellt aber auch fest, dass ein automatischer Leistungsausschluss nicht zulässig ist, sondern jeweils zu prüfen sei, ob dem österreichischen Sozialsystem  eine unangemessene Belastung droht, wenn die Ausgleichszulage auch an ausländische EU-BürgerInnen gezahlt wird. So sind im Einzelfall die Höhe und die Regelmäßigkeit der dem/der UnionsbürgerIn verfügbaren Einkünfte und der Zeitraum zu berücksichtigen, in dem ihm/ihr die beantragte Leistung voraussichtlich gezahlt werden wird.
Der EuGH stellt weiter fest, dass im Fall  des Klägers die Meldebehörden den österreichischen Wohnsitz bestätigt hätten. Dabei hätten sie das Einkommen des deutschen Rentner-Ehepaares überprüft und offenbar für ausreichend gehalten. Daher sei weiter zu prüfen, wie es zu dieser Entscheidung gekommen ist. Eine Ausweisung aus Österreich scheide insbesondere aus, wenn das deutsche Ehepaar wegen nur vorübergehender Schwierigkeiten voraussichtlich nur zeitweilig auf österreichische Sozialleistungen angewiesen ist.

Der Oberste Gerichtshof in Österreich hat nun nach dieser Maßgabe neu zu entscheiden, insbesondere, wie oft und in welcher Höhe die Ausgleichszulage an in Österreich lebende BürgerInnen aus anderen EU-Mitgliedstaaten ausgezahlt werden müsste und ob die so errechnete Belastung `unangemessen´ ist.

 

Entscheidung im Volltext

eugh_19_09_2013 (PDF; 157 KB, nicht barrierefrei)

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