Bemerkenswerte Entscheidung im Sozialgerichtsverfahren um Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz; umfangreiche Ausführungen zur Kausalität im Entschädigungsrecht; Zweifel, ob bei Opfern von Straftaten schon vor der Gewalttat Krankheitsanzeichen bestanden, oder ob andere Ursachen die Krankheit herbeigeführt haben, dürfen nicht zu Lasten der Opfer gehen; ausreichend, wenn Krankheit in engem Anschluss an die Tat ausgebrochen ist und keine späteren wesentlichen Umstände hinzugekommen sind, die hierfür ursächlich sein könnten
Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) spricht der Klägerin eine höhere Opferrente zu. Sie war im Alter zwischen acht und 14 Jahren mehrfach von einem Onkel, einem Großvater und einem Nachbarn sexuell missbraucht worden. Als Folge des Missbrauchs litt sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und depressiven Erkrankungen, die seitens des Landesamts für Soziales, Jugend und Versorgung auch als Schädigungsfolgen anerkannt wurden. Es stellte einen Grad der Schädigung (GdS) von 50 fest und sprach eine Opferrente zu. Mit dem Tod ihres Vaters und der Trennung von ihrem Ehemann verstärkten sich später die Beschwerden der Klägerin. Außerdem hatte sie belastende Erfahrungen mit einer Sekte gemacht. Die Klägerin machte geltend, dass es sich dabei um eine Verschlimmerung der als Schädigungsfolgen anerkannten Leiden handele und ihr daher eine entsprechend höhere Entschädigung zustehe. Das Versorgungsamt lehnte eine höhere Rente jedoch ab. Diese späteren Ereignisse seien nicht als Schädigungsfolgen des Missbrauchs anzusehen. Es handele sich um `schädigungsunabhängige Nachschäden´. Die Verschlimmerung der psychischen Leiden der Klägerin sei als getrennte Krankheit anzusehen und stehe nicht im Zusammenhang mit den gesundheitlichen Folgen des Missbrauchs.
Das LSG macht umfassende Ausführungen zur Kausalitätslehre im Entschädigungsrecht und stellt fest, dass die Nachschäden kein solches Gewicht hätten, dass sie die ursprünglichen Gewalttaten als unwesentlich erscheinen lassen. Vielmehr seien sie teilweise sogar mit den früheren traumatischen Erlebnissen verknüpft, denn der Vater und der Ehemann waren für die Frau stabilisierende Faktoren gewesen. Somit sei auch die Verschlimmerung der psychischen Erkrankung als Schädigungsfolge anzusehen. Das Gericht legt die Einordnung psychischer Erkrankungen dar und spricht der Klägerin einen Schädigungsgrad von 80 zu sowie eine entsprechend höhere Opferrente.
Entscheidung im Volltext:
lsg_rheinland_pfalz_06_03_2013 (PDF, 94 KB, nicht barrierefrei)