BGH, Urteil vom 19.5.2010
Aktenzeichen 3 StR 56/10

Stichpunkte

Strafverfahren wegen Menschenhandels und Zuhälterei zum Nachteil einer Bulgarin; Ausführungen zu den Tatbestandsmerkmalen "Drohung mit einem empfindlichen Übel" und "auslandsspezifische Hilflosigkeit" und zu Konkurrenzen.

Zusammenfassung

Auf die Revision sowohl des Angeklagten als auch der Staatsanwaltschaft hin hebt der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil des Landgerichts (LG) Osnabrück auf und weist zur Neuverhandlung zurück.

Den Feststellungen des Landgerichts Osnabrück zufolge hatte die aus Bulgarien stammende Nebenklägerin in Deutschland bereits eine Zeit selbstständig auf dem Straßenstrich gearbeitet, bevor sie auf Vermittlung des Angeklagten in verschiedenen Bordellen arbeitete. Sie wohnte bei dem Angeklagten, der auch ihren Pass in Besitz hatte. Eines Tages teilte die Frau dem Angeklagten mit, sie wolle nicht mehr in der Prostitution arbeiten, sondern eine feste Beziehung mit ihm führen, sonst werde sie nach Bulgarien zurückkehren. Der Angeklagte lehnte dies ab und sagte ihr, sie müsse das Geld für die Rückkehr selbst verdienen und seine Wohnung verlassen, sofern sie nicht mehr als Prostituierte arbeiten wolle. Daraufhin setzte die Frau ihre Tätigkeit fort. Als der Angeklagte sie einmal aus dem Bordell abholte, um ihr Arbeitspapiere zu organisieren, kam es in seiner Wohnung zu einem Streit, in dessen Verlauf er die Frau schlug und in der Wohnung einschloss. Die Ursache des Streits konnte das Landgericht nicht klären, sie lag aber nicht in der Tätigkeit der Nebenklägerin.

Der Angeklagte war daraufhin vom Landgericht Osnabrück wegen Zuhälterei mit schwerem Menschenhandel, Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Da weder die Körperverletzung noch das Einsperren in der Wohnung dazu dienten, Einfluss auf die Tätigkeit der Nebenklägerin auszuüben, sieht der Bundesgerichtshof keinen Zusammenhang zwischen diesen Taten, der Zuhälterei und dem Menschenhandel gegeben und gab insoweit der Revision der Staatsanwaltschaft statt.

Auch die Revision des Angeklagten hatte Erfolg, da der Bundesgerichtshof in der Äußerung des Angeklagten, die Frau müsse bei ihm ausziehen, wenn sie nicht mehr in der Prostitution arbeiten wolle, keine Drohung mit einem empfindlichem Übel und somit keine Strafbarkeit gemäß § 232 Absatz 4 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) sieht. Eine solche Drohung liegt nach Auffassung des BGH nur dann vor, wenn der angedrohte Nachteil so erheblich ist, dass "seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren und von ihm in seiner konkreten Lage nicht erwartet werden kann, der Drohung standzuhalten". Auch wenn der Angeklagte wusste, dass die Frau Angst davor hatte, mittel- und wohnungslos zu sein und sie mit seiner Aussage zur Fortsetzung der Prostitution bringen wollte, lag die Schwierigkeit ihrer Situation nach Ansicht des Gerichts weniger in der Ankündigung des Angeklagten, sondern in ihrer Hilflosigkeit, weil sie weder Deutschkenntnisse hatte, noch richtig Lesen und Schreiben konnte.

Auch eine Strafbarkeit gemäß § 232 Absatz 1, Satz 1 StGB wegen Ausnutzens einer "auslandsspezifischen Hilflosigkeit" sah der Bundesgerichtshof nicht gegeben, denn das Landgericht Osnabrück hatte nicht festgestellt, warum der Angeklagte im Besitz des Passes der Frau war und dass er dadurch ihre Situation als Ausländerin ausnutzen wollte. Ebenso spricht die Tatsache, dass diese früher auch ohne Zutun des Angeklagten schon eine Zeit selbstständig ihre Prostitutionstätigkeit organisiert hatte, gegen eine solche "auslandsspezifische Hilflosigkeit".

Der Bundesgerichtshof hob daher die Verurteilung des Angeklagten wegen Menschenhandels auf. Für die Neuverhandlung weist der BGH darauf hin, dass in dem Einbehalten des Passes eine Zuhälterei gemäß § 180a Absatz 1 Nr. 2 StGB vorliegen kann, sofern der Angeklagte die Frau dadurch davon abhalten wollte, die Prostitution aufzugeben.

Entscheidung im Volltext:

BGH_19_05_2010 (PDF, 81 KB, nicht barrierefrei)

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