Bemerkenswerte Entscheidung im Asylverfahren; Flüchtlingsanerkennung wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung eines als Tanzjunge missbrauchten Afghanen, umfassende Erläuterungen zur Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie und Neufassung des § 60 AufenthG; Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure auch ohne Anknüpfung an staatliche Verantwortung; eingehende Darstellung der Praxis der Tanzjungen; umfassende Ausführung zur Glaubhaftmachung der Fluchtgründe sowie zur Beweiserleichterung bei Vorverfolgung
Das Verwaltungsgericht Augsburg (VG) spricht dem Kläger einen Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung zu. Der Kläger, ein Afghane usbekischer Volkszugehörigkeit, war 2011 als Minderjähriger über Frankreich nach Deutschland eingereist. Er hatte angegeben, in Afghanistan als Tanzjunge missbraucht worden zu sein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte seinen Asylantrag abgelehnt, weil es keine Verfolgung gegeben sah und sein Vorbringen auch für unglaubhaft hielt. Das VG sah dies anders. Es macht zunächst umfassende Ausführungen zur Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie durch die Neufassung des § 60 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Grundlage für dessen Auslegung sei jetzt der Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention. Für eine Flüchtlingsanerkennung wegen Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure sei nicht mehr eine Anknüpfung an staatliche Verantwortung erforderlich. Das Gericht legt die Kriterien für eine glaubhafte Erklärung der Fluchtgründe dar. Es macht Ausführungen zur Praxis der Tanzjungen und des sexuellen Missbrauchs von Jungen und Jugendlichen in Afghanistan durch hochgestellte Personen aus Regierungs- und Militärkreisen. Das Gericht hielt die Schilderungen des Klägers für glaubhaft und hält ihm angesichts der Vorverfolgung die Beweiserleichterung des Artikel 4 der Qualifikationsrichtlinie zu Gute. Danach legt eine bereits erfolgte Verfolgung die Vermutung der Wiederholung bei einer Rückkehr nahe und die Betroffenen müssen dies nicht durch stichhaltige Gründe darlegen. Im Gegenzug kann diese Vermutung nur durch stichhaltige Gründe widerlegt werden. Das Gericht nahm daher eine geschlechtsspezifische Verfolgung des Klägers an und spricht ihm einen Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung zu.
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