BGH, Entscheidung vom 15.1.2015
Aktenzeichen 1 StR 315/14

Stichpunkte

Revisionsentscheidung im Strafverfahren mit umfangreicher Darstellung der Frage, wann ein Urteil auf einem Verstoß gegen die Mitteilungspflicht bei Verständigungen im Strafverfahren beruht; Ausführungen zu Bedeutung und Umfang der Mitteilungspflicht; Darlegung der unterschiedlichen Anforderungen an die Protokollierung bei außerhalb und während der Verhandlung erfolgten Verständigungsgesprächen; Ausführungen zum Beruhensauschluss bei Information des Angeklagten durch Verteidiger; wird keine Mitteilung vorgenommen, stellt die Nichtprotokollierung keinen neuen Rechtsfehler dar

Zusammenfassung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hebt die Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung auf. Der Verurteilung lag eine Verständigung zugrunde, die jedoch nach Auffassung des Senats unter Verstoß gegen die Mitteilungspflicht gemäß § 243 Absatz 4 Satz 1 Strafprozessordnung (StPO) zustande gekommen war. Danach muss der Vorsitzende mitteilen, ob Erörterungen stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist und wenn dies der Fall war, deren wesentlichen Inhalt. Im vorliegenden Fall hatte auf Anregung des Verteidigers schon vor dem Hauptverfahren ein auf eine Verständigung zielendes Gespräch stattgefunden. Dabei erörterten die Verfahrensbeteiligten unter anderem die Möglichkeit einer Verfahrensbeschränkung durch die Strafkammer, die Vorstellung der Staatsanwaltschaft über das Strafmaß und ihre Erwartungen an das Prozessverhalten des Angeklagten sowie die auf die Straferwartung bezogene Vorstellung der Verteidiger. Das Gespräch verlief ohne Ergebnis. Am ersten Hauptverhandlungstag nahm der Vorsitzende ins Protokoll auf, dass im Vorfeld mit den Prozessbeteiligten Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung stattgefunden hätten, eine solche jedoch nicht zustande gekommen sei. Im weiteren Verlauf fanden sowohl während als auch außerhalb der laufenden Verhandlung noch zwei ergebnislose Verständigungsversuche statt. Protokolliert wurde auch hier nur das Stattfinden und die Ergebnislosigkeit der Gespräche. Über den Inhalt wurde der Angeklagte jeweils von seinem Verteidiger informiert. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte eine den Anforderungen des § 243 Abs. 4 StPO nicht genügende Mitteilung durch den Vorsitzenden über Verständigungsgespräche. Auf diesem Verstoß beruhe auch das Urteil, da nicht auszuschließen sei, dass sein Prozessverhalten bei ordnungsgemäßer Information anders ausgefallen wäre. Der Senat sieht ebenfalls schon bezogen auf das vor dem Hauptverfahren geführte Gespräch einen Verstoß gegen die Informationspflicht aus § 243 Abs. 4 StPO. Er legt die Bedeutung der Mitteilungspflicht im Hinblick auf Transparenz und Kontrollmöglichkeiten und den daraus folgenden nötigen Umfang dar. Der genaue Verlauf und Inhalt der Gespräche sei auch in das Protokoll aufzunehmen, um eine Kontrolle in der Revision zu gewähren. Dem werde die knappe Formulierung des Vorsitzenden, ein Verständigungsgespräch habe stattgefunden und sei ergebnislos verlaufen, nicht gerecht. Der Senat stellt fest, dass sich vorliegend ein Beruhen des Urteils auf diesem Formverstoß nicht ausschließen lasse. Er legt dar, dass ein solches Beruhen bei Verstößen gegen das Schutzkonzept der strafprozessualen Vorschriften zur Verständigung jeweils im Einzelfall zu prüfen sei. Nur in Ausnahmen, wenn das Schutzkonzept nicht bedroht sei, könne ein Beruhen ausgeschlossen werden. Der Senat macht Ausführungen zum durch die Mitteilungs- und Dokumentationspflicht bezweckten Schutz insbesondere vor `informellen´ Absprachen. Dies bezöge sich auch auf erfolglose Verständigungsversuche außerhalb der Verhandlung. Hier seien strengere Anforderungen an den Umfang der Protokollierung zu stellen, da das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und der Angeklagten größer sei als bei während der Verhandlung in ihrer Anwesenheit zustande gekommenen Verständigungen. Um festzustellen, ob ausnahmsweise ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß auszuschließen sei, seien dessen Auswirkungen in einer wertenden Gesamtschau zu beurteilen. Dies gelte auch wenn, wie vorliegend, der Angeklagte von seinem Verteidiger über Verständigungsgespräche informiert wurde. Der Senat führt aus, warum richterliche von nicht richterlichen Mitteilungen grundsätzlich qualitativ zu unterscheiden seien. Daher sei nur in Ausnahmefällen, wenn das Gericht gegen seine Mitteilungspflicht verstößt, der Angeklagte aber durch seinen Verteidiger informiert wird, der Ausschluss des Beruhens des Urteils auf diesem Fehler zulässig. Grundsätzlich gelte, je komplizierter die zugrunde liegende Rechts- und Verfahrenslage, desto eher sei anzunehmen, dass die Unterrichtung durch das Gericht Einfluss auf das Prozessverhalten des oder der Angeklagten gehabt hätte. Der Senat konnte vorliegend ein solches Beruhen nicht ausschließen, so dass er das Verfahren zur Neuverhandlung an das Landgericht zurück verweist.

 

Entscheidung im Volltext:

Bgh_15_01_2015 (PDF, 58 KB, nicht barrierefrei)

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