LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7.12.2017
Aktenzeichen L 6 VG 6/17

Stichpunkte

Bemerkenswerte Entscheidung im Sozialgerichtsverfahren um Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz; Gericht spricht Vergewaltigungsopfer wegen durch demütigende Erlebnisse im Strafverfahren verstärkter Traumatisierung Anspruch auf Beschädigtenrente zu; wenn `Deal´ zugunsten des Täters als weiteres traumatisches Erlebnis Gesundheitsschäden auslöst, ist dies als Folge der Tat einzuordnen

Zusammenfassung

Das Landessozialgericht (LSG) spricht der Klägerin aufgrund durch Strafverfahren verstärkter Traumatisierung Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zu. Die Klägerin, die bereits seit längerem an einer psychischen Erkrankung litt, war vom Angeklagten im Oktober 2010 vergewaltigt worden. Der Täter nutzte dabei einen Asthma-Anfall der Frau aus, aufgrund dessen sie sich nicht wehren konnte. Nach der Tat litt die Frau an einer posttraumatischen Belastungsstörung in Form von unter anderem Angstzuständen und Panikattacken, laut medizinischer Gutachten mit einem Grad der Schädigung (GdS) in Höhe von 20. Dies wurde vom Landessozialamt anerkannt. Im Strafverfahren gestand der Täter die Tat und wurde im Rahmen eines sog. `Deals´ wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung verurteilt. Die Frau fühlte sich durch die Erfahrungen im Strafverfahren erneut traumatisiert, da sie nicht angehört wurde und der Täter das Gericht `als freier Mann´ verlassen konnte. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich dadurch so stark, dass sie nur noch gemindert erwerbsfähig ist und inzwischen in einer betreuten Wohngruppe lebt.

Ihr Antrag auf Leistungen nach dem OEG wurde abgelehnt, da dafür ein GdS in Höhe von 30 erforderlich sei, die Vergewaltigung jedoch nur einen GdS von 20 hervorgerufen habe. Widerspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos.

Auf die Berufung der Klägerin ändert das LSG jedoch die erstinstanzliche Entscheidung und verurteilt das Landesversorgungsamt, der Klägerin eine Rente nach einem GdS von 30 zu zahlen.

Der Senat macht umfassende Ausführungen zu den rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem OEG. Ebenso umfassend setzt er sich mit dem Krankheitsbild der PTBS auseinander sowie dem Umstand der psychischen Vorerkrankung durch frühere Gewalterfahrungen der Klägerin. Er begründet detailliert, warum er davon ausgeht, dass die Vergewaltigung eine Verschlechterung des bereits beeinträchtigten Gesundheitszustandes der Frau herbeigeführt hat.

Der Senat führt außerdem detailliert aus, wie der Umstand, dass die Frau nicht die Gelegenheit bekam, im Strafverfahren auszusagen, obwohl Sachverständige ihre Aussagefähigkeit bestätigt hatten, und der Täter aufgrund des Deals nur eine Bewährungsstrafe bekam, der Frau die Möglichkeit der Aufarbeitung der Tat und Genugtuung unmöglich gemacht hätten. Dies habe, wie auch Sachverständige bestätigten, die PTBS verschlimmert, was zu einer Erhöhung des GdS um 10 auf nun insgesamt 30 führe. Damit sei der für eine Beschädigtenrente erforderliche GdS erreicht.

Weiter macht das Gericht Ausführungen zu dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen schädigendem Ereignis und Schaden. Da die Vergewaltigung die Ursache für das Strafverfahren und damit auch für die in diesem Verfahren erlebten weiteren traumatisierenden Erfahrung sei, sei auch die erforderliche Kausalität gegeben.

 

Entscheidung im Volltext:

lsg_baden_wuerttemberg_07_12_2017 (PDF, 56 KB, nicht barrierefrei)

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