Bemerkenswerte Entscheidung im verwaltungsrechtlichen Verfahren um Flüchtlingsanerkennung eines unter Verstoß gegen die chinesische Geburtenkontrolle geborenen chinesischen Kindes; betroffene Kinder stellen flüchtlingsrechtlich soziale Gruppe dar; umfangreiche Darstellung der Sanktionsmaßnahmen unter Verweis auf Länderberichte und weitere Rechtsprechung
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) spricht dem Kläger Flüchtlingseigenschaft zu.
Der Kläger ist das vierte in Deutschland geborene Kind eines chinesischen Paares.
Die Asylanträge der Eltern sind abgelehnt worden.
Auch der Antrag des Klägers auf Flüchtlingsanerkennung war abgelehnt worden, ebenso seine Klage hiergegen. Das Verwaltungsgericht (VG) begründete die Ablehnung damit, dass ein Verfolgungsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG) nicht vorläge, da die Kinder, die unter Verstoß gegen die Regelungen der chinesischen Geburtenkontrolle geboren wurden keine flüchtlingsrelevante soziale Gruppe darstellen. Zwar sei davon auszugehen, dass die Eltern des Klägers ein hohes Bußgeld bezahlen müssten und der Kläger im Falle der Nichtbezahlung nicht in das Haushaltsregister eingetragen würde, was zur Folge einen Ausschluss von wesentlichen Leistungen hätte. Da es aber Ausnahmen und Legalisierungsmöglichkeiten unter bestimmten Voraussetzungen gäbe, könne nicht grundsätzlich von einer sozialen Gruppe gesprochen werden.
Auf die Berufung des Klägers setzt sich der Verwaltungsgerichtshof insbesondere mit der Frage auseinander, in wie weit Kinder, die unter Verstoß gegen die Regelungen der chinesischen Geburtenkontrolle geboren wurden eine soziale Gruppe darstellen.
Dazu zitiert er umfassend eine Entscheidung des VG Freiburg, in ähnlich gelagertem Fall, mit ausführlicher Darlegung der Situation zur Geburtenkontrolle in China und Hinweisen auf Lageberichte sowie weitere Rechtsprechung. Das VG Freiburg kommt in dieser Entscheidung von 2015 zu dem Schluss, dass es zwar Bestrebungen gäbe, die Ein-Kind-Politik Chinas tendenziell zu einer Zwei-Kind-Politik zu reformieren, hier aber keine wirklichen Fortschritte zu erkennen seien. Es legt unter Verweis auf die Berichte dar, dass Zwangssterilisation, beziehungsweise Zwangsabtreibungen unerlaubt gezeugter Kinder evtl. zurück gegangen seien, Eltern von zweiten oder dritten Kindern müssten aber weiter empfindliche Bußgelder von bis zu zehn Jahresgehältern zahlen. Würden diese nicht bezahlt, werden die Kinder nicht in das so genannte Haushaltsregister (`Hokou´) eingetragen, was sie insbesondere von Ausbildungs- und Gesundheitsversorgungsleistungen ausschließe und völlig rechtlos mache. Das Gericht führt die Rechtlosstellung der Kinder und die Sanktionsmaßnahmen für die Eltern unter Verweis auf zahlreiche Berichte aus. Es kommt zu dem Schluss, dass eine flüchtlingsrechtliche Verfolgung für die soziale Gruppe der betroffenen Kinder gegeben ist. Es setzt sich umfassend mit entgegenstehender Rechtsprechung anderer VG auseinander.
Der VGH schließt sich diesem Urteil an und stellt fest, dass China seit Herbst 2015 zu einer zwei Kind Politik übergegangen ist und diese auch umsetze. Dies ändere aber nichts an der Situation von dritten und vierten Kindern.
Der VGH hebt außerdem hervor, dass für den Begriff der sozialen Gruppe im Sinne des § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG nicht erforderlich ist, dass alle Mitglieder der Gruppe auch tatsächlich verfolgt werden. Die Möglichkeit, sich durch Bußgeldzahlungen freikaufen zu können, sei insofern unerheblich.
Entscheidung im Volltext: