Positive Entscheidung im Verwaltungsgerichtsverfahren um Flüchtlingsanerkennung für nigerianische Betroffene von Menschenhandel; interessante Ausführungen zu Vorgehen von nigerianischen Menschenhandelsnetzwerken sowie zu den Kriterien zur Beurteilung der drohenden Gefahr für Rückkehrer*innen; diese stellen `bestimmte soziale Gruppe´ dar
Positive Entscheidungim Verwaltungsgerichtsverfahren um Flüchtlingsanerkennung für nigerianische Betroffene von Menschenhandel; interessante Ausführungen zu Vorgehen von nigerianischen Menschenhandelsnetzwerken sowie zu den Kriterien zur Beurteilung der drohenden Gefahr für Rückkehrer*innen; diese stellen `bestimmte soziale Gruppe´ dar
Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), eine Nigerianerin als Geflüchtete anzuerkennen. Die Frau war mit ihrem Sohn aus Spanien nach Deutschland gekommen und hatte Asyl beantragt. In ihrer Anhörung beim BAMF hatte sie angegeben, um der Armut zu entgehen, sei sie von Nigeria nach Spanien gereist. Dort habe sie den Vater ihres Sohnes kennengelernt. Von diesem sei sie jedoch massiv bedroht worden, weshalb sie nach Deutschland geflohen sei. Das BAMF lehnte ihren Antrag ab und drohte die Abschiebung nach Nigeria an, wo ihr keine Gefahr durch ihren Ex-Partner drohe.
In ihrer Klage hiergegen gab die Klägerin unter Verweis auf eine Stellungnahme des Fraueninformationszentrums (FIZ) Stuttgart an, Opfer von Menschenhandel zu sein und dies unter anderem aus Scham bei der Anhörung nicht angegeben zu haben.
In der Verhandlung führte sie aus, sie habe den Versprechungen ihres Anwerbers geglaubt, in Europa eine Arbeit als Putzfrau oder ähnliches zu finden. Sie sei nach Italien gebracht worden, wo sie jedoch die `Reisekosten´ in der Prostitution abarbeiten sollte.
Das Gericht glaubt den Angaben der Klägerin und sieht für sie die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Asylgesetz (AsylG) gegeben.
Das VG schildert sehr umfassend die Vorgehensweise nigerianischer Menschenhandelsnetzwerke beim Handel mit jungen, auch minderjährigen Frauen in die Prostitution nach Europa (S.8ff). Dies sei der organisierten Kriminalität zuzuordnen.
Die Anwerbung zur und Ausbeutung in der Zwangsprostitution stelle eine gravierende Menschenrechtsverletzung und eine Verfolgungshandlung gemäß § 3a Abs. 1 Nummer 1 und 2 AsylG dar.
Das Gericht führt weiter aus, wie rückkehrende Menschenhandelsopfer in Nigeria der Diskriminierung durch die Familie und Gesellschaft und auch den Bedrohungen und Vergeltungsmaßnahmen des Menschenhandelsnetzwerks ausgesetzt seien und es an Schutz- und Hilfsangeboten seitens des Staates aber auch zivilgesellschaftlicher Organisationen fehle. Unter Verweis auf weitere Rechtsprechung (VG Stuttgart vom 16.5.2014, VG Regensburg vom 19.10.2016) stellt das VG fest, dass Rückkehrer*innen damit eine `bestimmte soziale Gruppe´ im Sinne des § 3b Abs. 1 Nummer 4. AsylG darstellten, derenVerfolgung in Nigeria sich auf die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe gründe.
Die Anwerbung und Verbringung der Klägerin unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in die Prostitution stelle eine Vorverfolgung und einen ernsthaften Hinweis auf eine begründete Furcht der Klägerin vor Verfolgung im Falle einer Rückkehr dar, die nicht zu widerlegen sei, wenngleich das Gericht einräumt (Seite 11), kein klares Bild bezogen auf die den Rückkehrer*innen drohende Gefahr einer erneuten Verfolgung zu haben. So macht das VG umfassende Ausführungen zu Berichten über teils massive Vergeltungsmaßnahmen, zum anderen gäbe es aber wohl keine systematischen Repressalien. Abzustellen sei bei der Frage, ob eine Furcht vor Verfolgung begründet sei, auf verschiedene Faktoren sowie das Risiko reduzierende Umstände.
So spiele zum einen insbesondere die Höhe der Schulden bei den Menschenhändler*innen und die Frage, ob die Rückkehrenden gegen die Händler*innen ausgesagt haben eine Rolle.
Auch die Größe der Organisation, ob diese die Familie der Rückkehrer*in kennt und Unterstützungsmöglichkeiten durch die Familie seien einzubeziehen.
Für die Klägerin sah das Gericht als Risikofaktoren ihre Schulden in Höhe von 40.000 Dollar bei den Menschenhändler*innen sowie deren Wissen über ihre Familie, bzw. die Beteiligung der Familie am Menschenhandel.
Für die ledige Klägerin als Mutter zweier kleiner Kinder gäbe auch keine zumutbare interne Schutzmöglichkeit, da ihr in einem anderen Landesteil die Sicherung ihrer Existenz ohne familiäre Unterstützung nicht möglich sei.
Entscheidung im Volltext: