BVerfG, Urteil vom 7.8.2020
Aktenzeichen 1 BvR 1094/20

Stichpunkte

Bedeutende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einem sozialgerichtlichen Eilverfahren wegen des Ausschlusses von unverheirateten, unionsangehörigen Elternteilen mit gemeinsamen Kindern von Hartz-IV-Leistungen; Senat sieht Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG und hebt ablehnende Entscheidung auf; Analoge Anwendung von § 28 AufenthG bei Unionsbürger*innen nicht ausgeschlossen

Zusammenfassung

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hebt den einen einstweiligen Rechtsschutz ablehnenden Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts auf und weist zur Neuentscheidung zurück.

Eine erwerbslose rumänische Staatsangehörige hatte gegen ihren Ausschluss vom Bezug von Hartz-IV-Leistungen Rechtsschutz begehrt. Die Frau lebt unverheiratet mit ihrem Lebensgefährten und Vater zweier minderjähriger Kinder zusammen. Der Mann und die Kinder sind ebenfalls rumänische Staatsangehörige. Der Mann arbeitet mit kurzen Unterbrechungen in Teilzeit als Kraftfahrer mit 80 Std. monatlich mit einem Einkommen von 850 EUR brutto. Eines der Kinder besucht die Schule.

Nach einem Weiterbewilligungsantrag, wurden nur dem Mann und den Kindern Leistungen gewährt. Ein Anspruch der Mutter wurde, da sie ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitssuche habe, unter Verweis auf den Leistungsausschluss von § 7 Zweites Sozialgesetzbuch (SGB II) abgelehnt. Ihre Eilanträge hiergegen wurden sowohl vom Sozial- wie auch dem Landessozialgericht abgelehnt.

In seiner Begründung lehnt das LSG ein mögliches Aufenthaltsrecht aus analoger Anwendung des § 28 AufenthG ab, da die Frau nach Rumänien zurückkehren und der Mann sich um die Kinder kümmern könne, weil er ja nur teilzeitbeschäftigt sei.

Das BVerfG stellt in seiner Entscheidung fest, dass die Frau in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG verletzt worden sei.

Das LSG habe die Ablehnung eines Anspruches nicht ausreichend begründet.

Die Frage, ob über eine analoge Anwendung des § 28 AufenthG für unverheiratete, unionsangehörige Elternteile mit gemeinsamen Kindern ein Aufenthaltsrecht bestehen kann, sei in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten. Hiermit habe das LSG sich nicht hinreichend auseinandergesetzt. Ebenso hätte es die Folgen einer Rückkehr der Mutter nach Rumänien und eine daraus resultierende Trennung von Kindern und Partner vor dem Hintergrund des Schutzes der Familie aus Art. 6 Grundgesetz und Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention gründlicher erwägen müssen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass das LSG bei einer gründlicheren Befassung mit dem Antrag der Beschwerdeführerin zu einem für diese positiven Ergebnis gekommen wäre.

 

Entscheidung im Volltext:

Bverfg_08_07_2020 (PDF, 3,6 MB, nicht barrerefrei)

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