VG Münster, Urteil vom 24.1.2020
Aktenzeichen 4 K 534/18.A

Stichpunkte

Positive Entscheidung im Asylverfahren um Flüchtlingsanerkennung für eine Guineerin aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung; Ausführungen zur Praxis der Beschneidung und Zwangsverheiratung in Guinea; zur Übersetzungsproblematik bei Anhörungen

Zusammenfassung

Das Verwaltungsgericht (VG) spricht einer Frau aus Guinea die Flüchtlingseigenschaft zu.

Sie war 2017 nach Deutschland gekommen und hatte einen Asylantrag gestellt. Dazu hatte sie angegeben, sie sei als Kind beschnitten worden. Ihr leiblicher Vater sei 2011 gestorben. Ihr Stiefvater habe sie zwingen wollen, im November 2016 einen Herrn C. zu heiraten und dessen 4. Frau zu werden. Herr C. habe außerdem gewollt, dass sie in ein Krankenhaus gehe, um die Möglichkeit einer weiteren Beschneidung zu prüfen. Ihr Stiefvater habe dies ebenfalls gewollt und als sie sich geweigert habe, sei sie von diesem und ihren Brüdern geschlagen worden.

Sie sei daraufhin im November 2016 aus Guinea geflohen.

Zu ihrem Asylantrag reichte sie ein Attest ein, in dem ihre Beschneidung ärztlicherseits bestätigt wurde.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte ihren Antrag ab und drohte die Abschiebung an. Im Wesentlichen begründete es dies damit, da die Frau bereits beschnitten sei, habe sie keine weitere Beschneidung zu befürchten, außerdem seien ihre Angaben widersprüchlich.

Die Frau legte dagegen Klage ein. In der mündlichen Verhandlung erklärte sie, bei der Anhörung sei sie von der Dolmetscherin des Bundesamtes teilweise missverstanden worden. Diese habe nicht das in Guinea übliche Fulla gesprochen.

 

Das VG sieht die Flüchtlingseigenschaft der Frau gegeben. Es ist der Ansicht, die Klägerin sei vorverfolgt aus Guinea ausgereist und dort im Falle der Rückkehr von weiterer Genitalverstümmelung und Zwangsverheiratung bedroht.

Die ärztlich bestätigte Beschneidung stelle eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne der §§ 3 Abs. 1,3 b Abs. 1 Nr 4 Asylgesetz (AsylG) dar.

Das VG macht Ausführungen zu der Beschneidungspraxis in Guinea. Zwar sei die Beschneidung von Mädchen und Frauen seit 1996 verboten, dieses strafrechtliche Verbot würde jedoch kaum umgesetzt, so dass Guinea weltweit mit die höchste Beschneidungsrate habe, die bei 97 % der Frauen läge.

Das VG hält die Angaben der Klägerin auch für glaubhaft. Dem stehe nicht entgegen, dass sie in der mündlichen Verhandlung zum Teil andere Angaben machte als in der Anhörung vor dem BAMF. Hierzu habe sie glaubhaft erklärt, dass es mit der Dolmetscherin des BAMF Verständigungsprobleme gegeben habe.

Das VG setzt sich mit der Auffassung des BAMF auseinander, da die Klägerin als Kind beschnitten worden sei, habe sie keine weitere Beschneidung zu befürchten.

Diese Argumentation hält das VG für unzureichend, zumal das BAMF diese nicht mit fundierten Quellen belegt habe und es sich lediglich um eine Vermutung handele.

Das VG stellt dem eigene Quellen gegenüber, nach denen Zweitbeschneidungen vor einer Hochzeit durchaus üblich seien.

Auch die drohende Zwangsverheiratung stelle eine geschlechtsspezifische Verfolgung dar.

Es sei davon auszugehen, dass die Frau im Falle der Rückkehr von dem Herrn C. und ihrem Stiefvater verfolgt würde. Diesem könne sie sich auch nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil entziehen, da die Männer zum einen landesweit Kontakte hätten, aber auch, weil es der Frau ohne familiäre Unterstützung als Alleinerziehende von zwei Kindern nicht möglich sein werde, den Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Unterstützung durch die Familie habe sie nicht zu erwarten. Auch eine Unterstützung durch Hilfsorganisationen sei nicht gewährleistet.

Entscheidung im Volltext:

vg_muenster_24_01_2020 (PDF, 50 KB, nicht barrierefrei)

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