LG Hannover, Urteil vom 30.9.2020
Aktenzeichen 96 KLs 6433 Js 12616/19 (6/20)

Stichpunkte

Umfangreiche Entscheidung im Strafverfahren wegen Zwangsprostitution nach der Loverboy-Methode; detaillierte Darstellung der Vorgehensweise des Täters und der emotionalen Verstrickung der Betroffenen mit daraus resultierender Aussageverweigerung; kein Zeugnisverweigerungsrecht bei in Deutschland nach islamischem Recht geschlossener Ehe; mehrjährige Freiheitsstrafe und Einziehung von 42.000 EUR

Zusammenfassung

Das Landgericht (LG) verurteilt den Angeklagten wegen schwerer Zwangsprostitution in Verbindung mit ausbeuterischer und dirigistischer Zuhälterei, Körperverletzung, Drogenhandel und Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 3 Monaten und ordnet die Einziehung von rund 42.000 EUR an.

Der Angeklagte hat nach Auffassung des Gerichts über Jahre seinen aufwändigen Lebensstil durch die Prostitution teils minderjähriger Frauen finanziert, die er nach der Loverboy-Methode von sich abhängig machte.

A. 2018 Taten zum Nachteil der O (S. 4-7)

So führte er ab Ende 2017 eine Beziehung zu der Geschädigten O, die aus schwierigen Familienverhältnissen stammte und bis zu ihrer Volljährigkeit in einem Heim lebte. Die O arbeitete bereits in der Prostitution und gab ihre Einnahmen dem Angeklagten zur Aufbewahrung, ohne dass sie diese zurückerhielt, wobei der Angeklagte davon auch Anschaffungen für die O bezahlte.

Im Laufe ihrer Beziehung kam es mehrfach auch zu Auseinandersetzungen mit körperlicher Gewalt, weswegen die O sich letztlich auch von dem Angeklagten trennte.

Sie wollte aber nicht gegen diesen aussagen und hat auch vom Anschluss als Nebenklägerin vor der Hauptverhandlung wieder Abstand genommen (S. 7).

B. Taten 2019 zum Nachteil der B (S. 7 ff)

Die zu dem Zeitpunkt 17-jährige B lernte den Angeklagten 2019 kennen, als sie mit ihren Freundinnen, der 18-jährigen W und der 16-jährigen K einen Ausflug nach Hannover unternommen hatte. Die Freundinnen hatten in Bars gefeiert und als sie kein Geld mehr für die Rückkehr in ihren Heimatort hatten, kam ihnen die Idee, dieses durch einmalige Prostitution zu verdienen. Über Bekannte bekamen sie Kontakt zum Angeklagten vermittelt.

Das Gericht schildert, wie der Angeklagte die Frauen umwirbt und die Prostitutionstätigkeit als sehr lukrativ darstellt, um sie dazu zu bringen, für ihn der Prostitution nachzugehen. Dabei war sein Plan, für sie die Arbeit in der Prostitution zu organisieren, ihre gesamten Einnahmen zu kassieren und ihnen das, was sie brauchen, zu bezahlen (S. 9 ff). So gelang ihm zunächst, B und W zu überreden; dieK kehrte hingegen in ihrem Heimatort zurück. Auch B und W kehrten, nachdem sie die Nacht mit A verbracht hatten, nach W. zurück.

Der A kontaktierte die B jedoch weiter. Das Gericht schildert, wie der A dabei die eher naive und aus schwierigen Verhältnissen stammende B durch Aufmerksamkeiten etc. in sich verliebt macht und sie schließlich dazu bringt, für eine (vermeintlich) gemeinsame Zukunft durch Prostitution Geld zu verdienen (S. 12 ff), wobei dem Angeklagten zumindest anfangs nicht bekannt war, dass die B erst 17 Jahre alt war, bis er feststellte, dass diese aufgrund ihrer Minderjährigkeit keine Anmeldebescheinigung nach § 3 des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) hatte.

Er übernahm die Organisation der Prostitutionstätigkeit der B, wobei diese sich strikt nach seinen Vorgaben zu richten hatte. Er untersagte soziale Kontakte, insbesondere zu ihren Freundinnen und gab ihr ein neues Handy, auch um ihren jeweiligen Aufenthaltsort zu kontrollieren. Mehrfach kam es zu massiver körperlicher Gewalt des Angeklagten gegen die B, z.B. wenn diese heimlich Kontakt zu ihren Freundinnen hatte und später, als sie versuchte, sich aus der Prostitution zu lösen.

Im weiteren Verlauf gelang es dem A auch die unter 21-jährige W zur Prostitutionstätigkeit zu überreden. Gemeinsam mit der B wurden Vorbereitungen getroffen und Werbung geschaltet; die W entschloss sich dann aber aufgrund schlechten Gewissens gegenüber ihrer Familie doch, in ihre Heimatstadt zurück zu kehren und nicht in der Prostitution zu arbeiten.

Die B arbeitete weiterhin für den A, der dabei totale Kontrolle über sie ausübte.

Bei einer Polizeikontrolle wurde sie aufgrund einer Vermisstenanzeige ihrer Mutter mitgenommen und zu dieser zurückgebracht. Der Angeklagte hielt aber weiterhin Kontakt zu ihr und setzte sie unter Druck, nichts bei der Polizei zu sagen und in die Prostitution zurück zu kehren, was die B letztlich auch tat.

Sie musste neben der Prostitution auch Drogen von dem Angeklagten an die Freier überbringen.

Das Gericht schildert die Vorgehensweise des Angeklagten, die die B in eine emotionale Abhängigkeit gebracht hatte, aus der sie sich auch nach seiner Inhaftierung nicht lösen konnte. Der Angeklagte wirkte aus der Haft weiter auf sie ein, so dass sie vom Anschluss als Nebenklägerin wieder zurücktrat und ihn schließlich nach islamischem Recht heiratete (S. 30).

Im Rahmen der Beweiswürdigung macht das Gericht umfangreiche Ausführungen zur Wirksamkeit des vom Angeklagten geltend gemachten Verlöbnis mit der B und hält dieses mangels Ernsthaftigkeit des Angeklagten für unwirksam (S. 32 ff).

Die im Rahmen der Hauptverhandlung vom Angeklagten vorgelegte Bescheinigung einer nach islamischen Recht geschlossenen Ehe sei ebenfalls unerheblich, da diese nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshof (BGH) vom 10.10.2017 nicht in ein Verlöbnis umgedeutet werden könne (S. 36). Das Gericht sieht im diesbezüglichen Vorgehen des Angeklagten (und seiner Verteidiger) vielmehr das Bemühen, eine Unverwertbarkeit der in der polizeilichen Vernehmung von der B getätigten belastenden Aussagen zu erreichen.

Ebenso legt das Gericht ausführlich dar, warum es davon ausgeht, dass die O ihre gegenüber der Polizei gemachten Aussagen nur aus Angst vor dem Angeklagten revidiert (S. 49 ff).

Für die auf rund 42.000 EUR bezifferten Prostitutionseinnahmen ordnet das Gericht die Einziehung an (S. 142 ff).

 

Entscheidung im Volltext:

lg_hannover_30_09_2020_ (PDF, 11 MB, nicht barrierefrei)

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