Positive Entscheidung im Asylverfahren um Dublin-Überstellung alleinerziehender Nigerianerin nach Spanien; Gericht sieht Gefahr unmenschlicher Behandlung; umfassende Darstellung des spanischen 3-Stufen-Systems zur Integration Schutzberechtigter und des staatlichen Sozialleistungssystems
Das Verwaltungsgericht (VG) spricht einer nigerianischen Frau und ihren beiden Töchtern Abschiebeschutz gegen die Dublin-Überstellung nach Spanien zu.
Die Klägerinnen waren über Spanien nach Deutschland eingereist und hatten einen Asylantrag gestellt. Dieser wurde aufgrund spanischer Visa als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung der Klägerinnen nach Spanien angeordnet. Hiergegen hatte die Mutter Klage erhoben und einstweiligen Rechtsschutz beantragt.
Das Verwaltungsgericht (VG) gibt ihr Recht und erklärt, dass Spanien zwar grundsätzlich aufgrund der Dublin III-Verordnung zuständig und die Überstellungsfrist auch nicht abgelaufen sei, Deutschland aber aufgrund systemischer Mängel im spanischen Asylsystem zuständig sei. Gemäß Art. 3 Abs. 2 der Dublin III- Verordnung sei eine Überstellung nicht möglich, wenn es Gründe für die Annahme gebe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in dem Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen.
Das VG stellt bei seiner Prüfung unter Verweis auf die sog. `Jawo-Entscheidung´ des Europäischen Gerichtshofs vom 19.03.2019 auf die Erkenntnisse zur Situation anerkannter Schutzberechtigter ab, die auch bei Dublin-Rückkehrer*innen zu berücksichtigen sei. Es sei zwar innerhalb der Mitgliedstaaten davon auszugehen, dass die Grundrechtsstandards eingehalten werden. Sofern jedoch Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Gefahr von Verstößen gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (GRC) vorliegen könnten, seien diese zu würdigen.
Hier sieht das VG aus Art. 4 GRC bzw. dem gleichlautenden Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) abzuleitende staatliche Schutzpflichten verletzt. Eine solche Verletzung von Schutzpflichten läge vor, wenn die staatlich vorgegebenen Lebensverhältnisse für international Schutzberechtigte im Zielstaat als menschenunwürdig einzustufen seien. Für die Klägerinnen sieht das VG die Gefahr, dass sie unabhängig von ihrer Entscheidung über einen längeren Zeitraum in eine Situation extremer materieller Not geraten würden, die ihnen die Befriedigung ihrer elementaren Bedürfnisse wie Hygiene, Unterkunft und Nahrung unmöglich mache und ihre physische wie psychische Gesundheit gefährde, wodurch die von der Rechtsprechung des EuGH (a.a.O.) geforderte Erheblichkeitsschwelle überschritten werde. Sowohl die Mutter als Alleinerziehende, als auch die beiden minderjährigen Töchter seien dabei als besonders verwundbare Personen einzustufen, so dass nach der sog. Tarakhel-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 4.11.2014 besondere Anforderungen an die Aufnahmebedingungen, insbesondere im Hinblick auf die beiden minderjährigen Töchter, zur Vermeidung von Traumatisierungen zu stellen seien.
Dies sieht das Gericht für Spanien nicht gewährleistet. Es stellt umfassend das dreistufige System zur Herstellung der Integration Schutzberechtigter in die spanische Gesellschaft dar. Der Übergang der Schutzberechtigten in eine eigene Wohnung und finanzielle Unabhängigkeit durch eigene Arbeit gelänge in der Praxis nur wenigen. Es fehle an Wohnungen oder käme bei deren Vergabe zu Diskriminierungen. Auch das Finden einer Arbeitsstelle scheitere u.a. an Sprachkenntnissen, Diskriminierungen und hoher Arbeitslosigkeit.
Unter diesen ohnehin schwierigen Bedingungen sieht das Gericht für die Klägerin nicht die Chance auf eine eigene Wohnung. Als alleinerziehende Mutter zweier Minderjähriger bestünde auch keine Aussicht auf die Möglichkeit, sich den Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen.
Das VG macht ebenfalls Ausführungen zur seit 2020 eingeführten Grundsicherung und dem spanischen Sozialleistungssystem, sieht aber die Zugangsvoraussetzungen durch die Klägerinnen nicht erfüllt.
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