LG, Urteil vom 5.1.2022
Aktenzeichen 13 NS 1/19

Stichpunkte

Entscheidung im Berufungsverfahren wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung; Einziehung von Taterträgen; Arbeitnehmereigenschaft

Zusammenfassung

Das Landgericht Neuruppin (LG) weist die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Neuruppin (AG) vom 25.09.2018 überwiegend zurück und verurteilt ihn wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 46 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten. Das Gericht ordnet die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 357.507,80 EUR an.

Der Angeklagte war zunächst selbst im Bereich der Stallreinigung, später auch im Bereich der Installation von Hühnerkäfigen selbständig tätig. Hierzu gründete er im Jahr 2008 eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). In dieser arbeitete er zunächst selbst mit. Das Tätigkeitsfeld der GbR umfasste im Wesentlichen den Ausbau, das Reinigen und Desinfizieren von Käfigen. Nach einiger Zeit ging der Angeklagte, der die Geschäfte der GbR führte, dazu über, polnische Staatsbürger*innen für diese Arbeiten anzuwerben. Er warb dabei in Inseraten in polnischen Zeitungen mit legalen Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland. Der Angeklagte meldete die Arbeitskräfte jedoch nicht bei den zuständigen Sozialversicherungsträgern an. Auch besaßen die Personen keine Arbeitserlaubnis, eine solche war bis Mai 2011 jedoch für Arbeitnehmer*innen aus Polen noch erforderlich. Zur Tarnung dieser irregulären Arbeitsverhältnisse installierte der Angeklagte mehrere GbRs, in denen einige der von ihm angeworbenen Arbeiter*innen formal und ohne deren Kenntnis als Gesellschafter*innen fungierten. Der Angeklagte legte den angeworbenen Personen hierzu Dokumente auf Deutsch vor und gab diesen gegenüber an, dabei handele es sich um Arbeitsverträge und Dokumente für die Arbeitserlaubnis. Tatsächlich handelte es sich jedoch um Gesellschaftsverträge.

Die angeworbenen Personen entschieden sich ausschließlich aufgrund der durch den Angeklagten geschalteten Inserate, zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen. Der Angeklagte bestimmte über ihren Arbeitsort und stellte Fahrzeuge zur Verfügung, mit denen sie zu den Baustellen gefahren wurden. Die angeworbenen Personen beschäftigten selbst keine Arbeitnehmer*innen. Auch Arbeitsmittel stellte der Angeklagte bereit. Die angeworbenen Personen setzten selbst kein Kapital ein, trugen kein unternehmerisches Risiko, besaßen keine Büro- oder Geschäftsräume und unterlagen der Weisung und Kontrolle der von dem Angeklagten eingesetzten Aufsichtspersonen. Sie hatten neben dem Angeklagten, der die Aufträge akquirierte, keine weiteren Auftraggeber und waren in den betrieblichen Ablauf des Angeklagten integriert. Insbesondere gab jener auch die Arbeitszeiten vor und bestimmte die Höhe des Arbeitsentgeltes (zwischen 4 und 5 EUR pro Stunde).

Wegen dieses Sachverhalts verurteile die Vorinstanz, das AG Neuruppin, den Angeklagten wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 46 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren, gleichzeitig ordnete es den Einzug von 429.903,30 EUR an. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung ein, mit der er seinen Freispruch erreichen wollte. Dieses Rechtsmittel des Angeklagten hatte jedoch nur in einem geringen Umfang, nämlich hinsichtlich der Schadenshöhe Erfolg.

Das LG stellt zunächst fest, dass es sich bei den durch den Angeklagten angeworbenen Personen um Arbeitnehmer*innen handelt. Aus den Feststellungen zur Tat ergibt sich, dass es sich um unselbständige und durch den Angeklagten bestimmte Tätigkeiten handelte. Obwohl dem Angeklagten bewusst war, dass die polnischen Staatsbürger*innen eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, meldete er diese nicht bei den jeweils zuständigen Sozialversicherungsträgern an, um so die Zahlung von Arbeitnehmer*innen- und Arbeitgeber*innenbeiträgen zu umgehen.

Zur Ermittlung der Schadenshöhe schätzt das Gericht mangels Aufzeichnung der Arbeitszeit die vorenthaltenen Beträge anhand der Nettoumsätze der gegründeten Gesellschaften, für die die Arbeitnehmer*innen tätig waren.

Das Gericht stellt fest, dass sich der Angeklagte dadurch in 46 tatmehrheitlich begangenen Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt gemäß § 266 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB schuldig gemacht hat. Strafmildernd berücksichtig das Gericht, dass in dem Bereich, in welchem der Angeklagte mit seinen Firmen tätig war, ein enormer Preisdruck herrschte und die Gewinnmargen äußerst niedrig waren. Weiterhin wurde ein Teil der Haftstrafe aufgrund der überlangen Verfahrensdauert als vollstreckt erklärt.

 

Entscheidung im Volltext:

LG_Neuruppin_2022_01_05 (PDF, 295 KB, nicht barrierefrei)

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