Umfangreiche Entscheidung im Strafverfahren wegen besonders schwerer Zwangsprostitution in Tateinheit mit gewerblicher und wiederholter Beihilfe zur illegalen Einreise, Körperverletzung; Angeklagte war selbst Betroffene von Menschenhandel; Anwendung der ab 15.10.2016 geltenden Straftatbestände zum Menschenhandel, wenn Tatbeginn vor und Tatende nach der Gesetzesänderung liegt.
Das Landgericht Duisburg (LG) verurteilte die Angeklagte I wegen besonders schwerer Zwangsprostitution in Tateinheit mit gewerblicher Beihilfe zur illegalen Einreise entgegen § 14 AufenthG bezüglich der Zeugin F, wegen schwerer Zwangsprostitution in zwei Fällen in Tateinheit mit jeweils wiederholter Beihilfe zur illegalen Einreise entgegen
§ 14 AufenthG bezüglich der Zeuginnen P und O sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung zulasten der Zeugin P zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 9 Monaten. Zugleich verurteilte das LG den Angeklagten U wegen Beihilfe zur schweren Zwangsprostitution in zwei Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zur illegalen Einreise entgegen § 14 AufenthG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten.
Die aus ärmlichen Verhältnissen aus Nigeria stammende Angeklagte musste selbst ab dem Alter von 5 Jahren bei einer sogenannten „Mother of O“ (auch „Mama O“, „Lovette“) wie eine Haushälterin arbeiten und erhielt im Gegenzug Nahrung und Obdach. Sie erhielt keinerlei Schulbildung und ist Analphabetin. In Ermangelung finanzieller und beruflicher Zukunftsaussichten sah sie keine andere Möglichkeit als der Aufforderung der „Mother of O“ zu folgen und in Europa als Prostituierte zu arbeiten. Ihre leibliche Mutter leistete einen Juju-Schwur darauf, dass, wenn die Angeklagte die Schleusungskosten nicht zahlen würde, die Mutter sterben müsse. Die Angeklagte reiste im Juni 2009 nach Frankreich, beantragte erfolgreich Asyl und arbeitete unter einer „Madame“ als Prostituierte. Die ihr als Schleusungskosten offenbarten 55.000 Euro zahlte sie mit Hilfe eines Freiers, mit dem sie eine Beziehung begann, und arbeitete danach weiter auf eigene Rechnung als Prostituierte. Sie schickte der „Mother of O“ fortlaufend Geld, damit sie sich um ihre leibliche Mutter und den Bau eines Hauses für ihre Mutter kümmern konnte. Im Juli 2016 lernte sie den weiteren Angeklagten U kennen und führte eine Liebesbeziehung mit ihm.
Die geschädigten Zeuginnen F, P und O kamen alle aus prekären wirtschaftlichen Verhältnissen aus Nigeria, hatten keine abgeschlossenen Berufsausbildungen und sprachen kein Deutsch. Sie waren an einem Leben in Europa interessiert, weil sie sich dort höhere Einkünfte und finanzielle Absicherung für sich und für ihre Familien in Nigeria erhofften. Sie hofften darauf, Ausbildungen zu erlangen oder einfachen beruflichen Tätigkeiten nachgehen zu können. Allein die Zeugin F rechnete damit, sich prostituieren zu müssen. Alle Zeuginnen erklärten sich mit ihrer Einschleusung nach Europa gegen Zahlung eines hohen Geldbetrages, deren konkrete Höhen sie bei der Einreise jeweils nicht kannten, einverstanden. Für die Einreise wurden sie mit gefälschten nigerianischen Pässen versorgt. Sie reisten über verschiedene Reiserouten nach Deutschland. Unmittelbar vor der Ausreise leisteten alle auf Veranlassung der „Mother of O.“, im Fall der Zeugin O auf Veranlassung der „Mama Nosa“, einen Juju-Schwur. Damit schworen sie vor einem Juju-Priester im Rahmen eines Juju-Rituals, dass sie für die Einreise nach Deutschland einen hohen Geldbetrag zahlen, sie nicht die Polizei einschalten und sich nicht mit „dunkelhäutigen“ Männern einlassen würden. Der Juju-Priester drohte den Zeuginnen an, dass sie oder nahe Familienangehörige den Verstand verlieren, körperlich erkranken oder sterben werden, wenn die Zeuginnen die Forderung der „Schleuser“ nicht begleichen oder den Anweisungen der Angeklagten nicht Folge leisteten.
Die Umstände der Einreise waren der Angeklagten I bekannt, insbesondere wusste sie von den etwa 35.000 bis 60.000 Euro Einschleusungskosten, die die Zeuginnen an die „Mother of O.“ bzw. die „Mama Nosa“ zahlen mussten. Sie besaß aufgrund ihrer eigenen Erfahrung die Vorstellung, dass die Zeuginnen diesen Betrag auch erwirtschaften konnten. Sie war daran interessiert, dass sie die Geldschulden innerhalb kürzester Zeit begleichen.
Die Zeuginnen wurden der Angeklagten auf Veranlassung der „Mother of O.“ bzw. der „Mama Nosa“ zugeführt und kamen nach der Ankunft kurzzeitig in der Wohnung der Angeklagten I unter. Spätestens zu diesem Zeitpunkt offenbarte die Angeklagte den Zeuginnen, dass sie nach ihrer Anweisung als Prostituierte arbeiten sollten, um ihre Geldschulden zu begleichen. Danach sollten sie „frei sein“. Aus den erwirtschafteten Einnahmen sollte den Zeuginnen kein nennenswerter Anteil bleiben. Die Angeklagte ließ sich von den Zeuginnen deren Einreisedokumente aushändigen, zwischenzeitlich auch deren Mobiltelefone und Tablets. Sie erinnerte sie an die geleisteten Juju-Schwüre unter Androhung der Konsequenzen im Falle eines Schwurbruchs. Sie bezahlte den Zeuginnen jeweils einen Friseurbesuch, den sie ihnen mitunter in Rechnung stellte. Sie veranlasste die Anmeldung der Zeuginnen mit Pässen anderer Frauen in verschiedenen Bordellbetrieben. Die Zeuginnen sollten wöchentlich 1.000 Euro der Geldschulden an sie abführen.
Sie sollten die Geldbeträge entweder an sie oder an Dritte, darunter auch den Mitangeklagten U, aushändigen. Der Angeklagte U leitete die Geldbeträge vollständig und ohne eigenen finanziellen Vorteil an die Angeklagte I weiter.
Die Zeugin F arbeitete im Zeitraum von Februar 2016 bis November 2017 in verschiedenen Bordellbetrieben und führte insgesamt ca. 42.000 Euro (Gesamtforderung 55.000 Euro) an die Angeklagte I ab.
Die Zeugin P arbeitete im Zeitraum November 2016 bis November 2017 in verschiedenen Bordellbetrieben und führte mindestens 20.000 Euro (Gesamtforderung 60.000 Euro) an die Angeklagte ab.
Die Zeugin O arbeitete im Zeitraum vom Dezember 2016 bis Januar 2017 in verschiedenen Bordellbetrieben und führte insgesamt etwa zwischen 1.550 Euro und 1.800 Euro (Gesamtforderung 35.000 Euro) an die Angeklagte ab.
Die Angeklagte I leitete einen Großteil der Einnahmen an die „Mother of O.“ bzw. im Fall der Zeugin O an „Mama Nosa“ nach Nigeria weiter. Einen geringen Teil der Einnahmen der Zeugin F, mindestens 2.600 Euro, verwandte sie für eigene Mietkaution und mehrere Monate Mietzahlungen zu ihrer eigenen Wohnung. Bezüglich der Zeugin F hatte die Angeklagte I ein eigenes wirtschaftliches Interesse an den Einnahmen aus der Prostitution der Zeugin F.
Der Angeklagte U begleitete im Auftrag der Angeklagten I bzw. der „Mother of O.“ die Zeugin P bei ihrer Reise aus Griechenland nach Deutschland und führte sie der Angeklagten zu. Er flog darüber hinaus im Auftrag der Angeklagten I nach Italien und organisierte dort die Reise der Zeugin O über die Schweiz nach Deutschland. Ebenfalls auf Veranlassung der Angeklagten I organisierte er für beide Zeuginnen Fahrten zu Bordellbetrieben und sammelte Einnahmen bei ihnen ein, um sie der Angeklagten I zu übergeben. Finanzielle Vorteile erlangte der Angeklagte nicht, sondern handelte mit dem Wissen um seine eigenen Tatbeiträge vielmehr aus Verbundenheit zur Angeklagten I.
Die Zeuginnen hatten große Schwierigkeiten, die verlangten Einnahmen zu erwirtschaften und gerieten mit der Angeklagten I darüber teilweise in Streit. Über die unzureichenden Zahlungen der Zeugin P geriet die Angeklagte I derart in Wut, dass sie um sich schlug und mit der Hand auf die Schulter der Zeugin P einschlug, in der Absicht, die Zeugin P durch Schmerzen gefügig zu machen.
Die Kammer am Landgericht hat sich intensiv mit den Einlassungen der
Angeklagten I und dem Angeklagten U auseinandergesetzt, in der sie die Vorwürfe aus der Anklage bestritten. Soweit die Einlassungen von den getroffenen Feststellungen abweichen, sieht die Kammer sie nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme als widerlegt an.
Die Kammer stellt schließlich klar, dass an die Stelle der zum Tatbeginn (für die Zeugin F im Februar 2016) geltenden Strafnormen zum Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung die ab dem 15.10.2016 geltenden Regelungen des §§ 232 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB zur Zwangsprostitution getreten sind (Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels und zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes sowie des 8. Buches des Sozialgesetzbuchs vom 11.10.2016). Bei der Neuregelung sei es nicht zu hier relevanten Änderungen im Regelungsgehalt der Straftatbestände gekommen.
Entscheidung im Volltext:
LG_Duisburg_27_01_2020.pdf (PDF, 123 KB, nicht barrierefrei)