LG Düsseldorf, Urteil vom 17.4.2019
Aktenzeichen 4 KLs 6/18

Stichpunkte

Umfangreiche Entscheidung im Strafverfahren wegen Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung u.a.; Verurteilung zu siebenjähriger Haftstrafe; Ausführungen zur Voraussetzung dirigistischer Zuhälterei

Zusammenfassung

Das Landgericht (LG) verurteilt die Angeklagte B1 u.a. wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen und schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung sowie dirigistischer Zuhälterei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren.

Einen weiteren Angeklagten G1 verurteilt es wegen räuberischer Erpressung zu 6 Jahren.

Für die Nebenklägerin stellt das Gericht im Adhäsionsverfahren einen Entschädigungsanspruch dem Grunde nach fest, dessen Höhe jedoch im Zivilverfahren festzulegen sei.

Die beiden Angeklagten waren befreundet. Die B1 ging mit Unterbrechungen der Prostitution nach. Um sich Geld zu beschaffen, verabredeten beide im September 2015 ‚Freier abzuzocken‘. Hierbei sollte die B1 über ein Internetportal Kontakt zu Freiern aufnehmen und vorgeben, gegen Geld den Geschlechtsverkehr durchführen zu wollen. Beim Treffen sollte die B1 das Geld nehmen und sich unter einem Vorwand entfernen, wobei der G1 in der Nähe sein sollte, um gegebenenfalls mit Gewalt die Flucht beider zu sichern.

Der Plan ging aber bei mehreren Versuchen nur teilweise auf.

Inzwischen hatte die B1 die zu dem Zeitpunkt 17-jährige, psychisch labile, aus wohlhabender Familie stammende Nebenklägerin kennengelernt. Diese wurde nach der sog. Loverboy-Methode von dem in einem anderen Verfahren verfolgten C5 zur Prostitution gezwungen. Die Nebenklägerin erzählte der B1 von ihren Problemen mit C5 und die Angeklagte bot ihr an, ihr zu helfen. Sie könnten zusammenarbeiten und die Einkünfte teilen. Außerdem würde sie dafür sorgen, dass es mit C5 keine Probleme mehr gäbe und die Nebenklägerin zu schützen. Die Nebenklägerin vertraute ihr und in der Folge arbeiteten die Frauen eine Zeitlang zusammen und bedienten auch die Freier gemeinsam. Die Einkünfte wurden dabei geteilt. Zunehmend buchten die Freier dann aber nur noch Einzeltermine mit der Nebenklägerin. Da es wegen der Minderjährigkeit der Nebenklägerin zunehmend Probleme in den Clubs bzw. Hotels gab, mieteten die Frauen eine Wohnung an, in die die Nebenklägerin einzog und in der sie dann auch arbeitete.

Die B1 hatte den unterwürfigen Charakter der Nebenklägerin erkannt und beschloss, dies für sich auszunutzen. Da sie wegen exzessiven Glücksspiels Geld benötigte und auch aus der Prostitution aussteigen und mit G1 ein bürgerliches Leben führen wollte, wollte sie die Nebenklägerin für sich arbeiten lassen und zukünftig die gesamten Einkünfte behalten.

Die Nebenklägerin arbeitete daraufhin unter engmaschiger Kontrolle und nach den Vorgaben der Angeklagten von Anfang Juni bis Oktober 2016 sieben Tage die Woche mit nur einzelnen freien Tagen. Dabei bediente sie mindestens 3 Freier am Tag.

Die Angeklagte machte mit den Freiern die Termine und die Preise, und kassierte auch das Geld.

Die Nebenklägerin bekam nur einen Betrag von 2 oder 3 EUR pro Tag. Die Angeklagte versorgte sie mit Lebensmitteln und Kleidung.

Die Angeklagte hatte die Nebenklägerin außerdem systematisch von ihren sozialen Kontakten isoliert. Diese ließ es geschehen, da sie glaubte, die Angeklagte sei ihre Freundin. Bezüglich des Geldes spielte die Angeklagte ihr unter anderem vor, dieses für Schulden zu benötigen oder es für die Nebenklägerin anzulegen.

Zum Eklat kam es erst, als die Nebenklägerin erklärte, nach ihrem 18. Geburtstag das Fachabitur machen und mit der Prostitution aufhören zu wollen.

Um sie nicht als Einnahmequelle zu verlieren, baute die Angeklagte ein Drohszenario auf, in dem sie mit massiver Gewalt gegen die Nebenklägerin und ihre Familie drohte.

Erst mithilfe eines Freundes gelang es der Nebenklägerin im Oktober 2016, sich von der Angeklagten zu lösen. Sie zog wieder zu ihrer Mutter. Die Angeklagte versuchte noch einige Zeit, Kontakt zu ihr aufzunehmen, zu Gewaltanwendungen kam es nicht.

Das LG sah insgesamt für beide Angeklagte bezogen auf den ersten Tatkomplex der ‚Abzocke‘ von Freiern den Tatbestand der räuberischen Erpressung erfüllt.

Für die Angeklagte B1 sah es bezogen auf die Nebenklägerin für den Zeitraum von Juni bis Oktober 2016, als die Angeklagte, die zu dem Zeitpunkt noch unter 21-Jährige durch Drohungen zur Fortsetzung der Prostitution bringen wollte, den Tatbestand des schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung gem. § 232 IV Nr. 1 sowie § 232 I 2(a.F.) Strafgesetzbuch (StGB) erfüllt.

Das Gericht führt außerdem aus, dass in der umfassenden Kontrolle der Angeklagten über die Nebenklägerin eine dirigistische Zuhälterei gem. § 181a I Nr. 2, 1. Modalität StGB zu sehen sei, da die Überwachung die Nebenklägerin in ihrer Entscheidungsfreiheit bezüglich ihrer Prostitutionstätigkeit beeinträchtigte.

Andere auf die Ausbeutung abzielende Tatbestände wie §§ 180a II Nr. 2, 181a I Nr. 1 StGB) sah das Gericht nicht gegeben. Die Angeklagte habe die Nebenklägerin zwar ausgenutzt, eine strafrechtlich relevante Ausbeutung läge aber nur vor, wenn ein so beträchtlicher Teil der Einnahmen vorenthalten werde, dass das Opfer in seiner persönlichen und wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit gehindert und eine Loslösung aus der Prostitution erschwert sei. Dies träfe auf die aus einer wohlhabenden Familie stammende Nebenklägerin nicht zu, die jederzeit zu ihrer Familie zurückkehren konnte, so dass sie in ihrer Entscheidungsfreiheit nicht durch den Einbehalt der Einnahmen, sondern nur durch die Drohungen der B1 eingeschränkt gewesen sei.

Die Kammer berechnet die Einnahmen der Nebenklägerin während des Tatzeitraums von 5 Monaten auf 38.250,00 EUR und ordnet insoweit die Einziehung an.

Im Adhäsionsverfahren wird der Nebenklägerin ein Anspruch dem Grunde nach zugesprochen, die Entscheidung zur Höhe der Entschädigung jedoch auf ein Zivilverfahren verwiesen wegen Ungeeignetheit im Strafverfahren.

Entscheidung im Volltext:

Lg_duesseldorf_17_04_2019 (PDF, 224 KB, nicht barrierefrei)

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