Höchstrichterliche Revisionsentscheidung im Strafverfahren um Zwangsprostitution; Teilaufhebung einer mehrjährigen Haftstrafe; umfassende Ausführungen zum Tatbestandsmerkmal des `Veranlassen´ zur Aufnahme bzw. Fortsetzung der Prostitution; Einwirken muss ursächlich für Entscheidung zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution sein; maßgeblich allein der Wille des Opfers, nicht die Vorstellung des/r Täter*in
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hebt auf Revision eines Angeklagten dessen Verurteilung teilweise auf und verweist zur Neuentscheidung zurück an das Landgericht (LG).
Der Mann war unter anderem wegen besonders schwerer Zwangsprostitution in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren verurteilt worden. Er hatte im Sommer 2016 die damals 16-jährige Nebenklägerin kennengelernt. Über den Angeklagten traf die Nebenklägerin andere Zeuginnen, die sie gemeinsam mit dem Angeklagten überredeten, die Arbeit in der Prostitution auszuprobieren. Dies tat die Nebenklägerin, nachdem ein weiterer Zeuge ein Onlineprofil von ihr erstellt und Termine mit Freiern vereinbart hatte. Zunächst arbeitete sie für einige Wochen für diesen Zeugen und gab das eingenommene Geld an ihn ab.
Ab Mitte Dezember 2017 lebte sie dann mit dem Angeklagten in einer Beziehung und arbeitete bis Juli 2018 für diesen. Der Angeklagte erstellte Onlineprofile von ihr und übernahm die gesamte Organisation ihrer Tätigkeit, gab Termine, Sexualpraktiken sowie Preise vor und behielt ihre Einnahmen vollständig für sich.
Im vorliegenden Verfahren ging es um drei Tathandlungen: In zwei Fällen, im Dezember 2017 und Mai 2018, hatte die Nebenklägerin sich geweigert, weiter der Prostitution nachzugehen, woraufhin sie vom Angeklagten ins Gesicht geschlagen wurde. Aus Angst setzte die Nebenklägerin daraufhin die Tätigkeit für ihn fort.
Bei einem weiteren, dritten Vorfall im Juli 2018 telefonierte die Frau mit ihren Eltern, die zu der Zeit im Urlaub waren und die sie vermisste. Sie versuchte deren genauen Aufenthalt herauszufinden. Daraufhin befürchtete der Angeklagte, sie wolle die Prostitution aufgeben und er würde seine Einnahmen verlieren. Daher wandte er erneut körperliche Gewalt an, was die Frau wiederum so einschüchterte, dass sie die Prostitution fortsetzte.
Dass das LG auch in diesem dritten Vorfall im Juli 2018 ein `Veranlassen zur Fortsetzung der Prostitution´ der minderjährigen Nebenklägerin sah und den Angeklagten auch dafür wegen besonders schwerer Zwangsprostitution gemäß § 232a Abs. 3, Abs. 4 StGB i. V. mit § 232 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) verurteilt hatte, erklärt der Senat für rechtsfehlerhaft. Unter Verweis insbesondere auf die beiden Beschlüsse des BGH vom 02.09.2020 und vom 04.08.2020 legt das LG die notwendigen Voraussetzungen für die Annahme eines `Veranlassens´ zur Fortsetzung der Prostitution dar. Erforderlich sei hierfür ein Handeln, das mitursächlich für die Entscheidung des Opfers zur Aufnahme bzw. Fortsetzung der Prostitution sei. Es müsse eine Einflussnahme geben, die die Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution herbeiführe. Das Merkmal `Fortsetzung´ beziehe sich insbesondere auf bereits in der Prostitution Tätige, die damit aufhören wollen, oder zu intensiverer Tätigkeit gebracht werden sollen. Ausschlaggebend sei dabei der tatsächliche Wille des Opfers und nicht die Vorstellung des Täters oder der Täterin. Ein solcher Entschluss der Nebenklägerin sei durch die Urteilsgründe aber für den dritten Vorfall nicht hinreichend belegt. Die bloße Feststellung des LG, sie sei aus Angst vor weiteren Gewaltanwendungen des Angeklagten weiter der Prostitution nachgegangen, sei kein Beweis dafür, dass sie zu diesem Zeitpunkt die Prostitution aufgeben wollte. Dies habe sie nur in den beiden ersten Fällen ausdrücklich erklärt.
Aus dem Anruf der Nebenklägerin bei ihren Eltern und ihrem Versuch, deren Aufenthaltsort herauszufinden, lasse sich nicht zwangsläufig schließen, dass sie sich aus der Prostitution lösen wollte, da sie dies, anders als in den beiden anderen Fällen, nicht ausdrücklich erklärt habe. Im dritten Fall hebt der Senat die Verurteilung daher auf und verweist zur Neuentscheidung an eine andere Strafkammer zurück, die ggf. weitere Feststellungen zur Motivation der Nebenklägerin treffen könne.
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