Positive Entscheidung im Asylverfahren um Abschiebeschutz für von Menschenhandel betroffene Gambierin; Gericht lehnt Flüchtlingsanerkennung mangels Verfolgungsgefahr ab, spricht aber Abschiebeschutz wegen Gefahr unmenschlicher Behandlung i.S.d. EMRK zu
Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einer Gambierin Abschiebeschutz zuzusprechen.
Die Klägerin war 2019 nach Deutschland eingereist und hatte einen Asylantrag gestellt. Zur Begründung hatte sie angegeben, sie habe in Gambia einen Nigerianer kennengelernt, der ihr eine Arbeit als Reinigungskraft in Deutschland versprochen und auch ein Visum besorgt habe. In Deutschland angekommen, sei sie jedoch von ihm in die Prostitution gezwungen worden. Bei einer Rückkehr befürchte sie, von diesem getötet zu werden.
Außerdem trug sie vor, ihr Vater habe sie gegen ihren Willen verheiraten wollen. Dem habe sie sich aber entziehen können, indem sie zu einer Freundin gezogen sei.
Weiter hatte sie in der Verhandlung ein Attest vorgelegt, in dem eine HIV-Infektion bestätigt wurde, die lebenslange Behandlung sowie alle 12 Wochen Kontrolle erfordere.
Das BAMF lehnte den Antrag ab und drohte die Abschiebung an.
Das VG sieht ebenfalls keinen Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 4 Asylgesetz (AsylG) gegeben. Zum einen hätte die von der Klägerin angegebene Zwangsprostitution in Deutschland stattgefunden, aber auch wenn es in Gambia eine Vorverfolgung gegeben habe, gäbe es doch Anhaltspunkte, die gegen eine (erneute) Verfolgung in Gambia sprächen. Die Klägerin sei dem Mann bereits seit 3 Jahren entkommen und habe seitdem keinen Kontakt zu ihm. Seit sie nicht mehr in einem Frauenhaus untergebracht sei, sei es auch nicht mehr zu Bedrohungen durch den Mann gekommen. Die Klägerin habe zwar Anzeige erstattet, der Mann habe aber durch die Polizei nicht identifiziert und gefasst werden können, so dass es keine strafrechtlichen Konsequenzen für ihn gegeben habe.
Auch sei unklar, ob er sich in Gambia aufhalte. Dass es zu Verfolgung durch Bekannte des Mannes oder Personen aus dem der Klägerin unbekannten Menschenhändler*innenkreises kommen könne, hält das Gericht für unwahrscheinlich.
Eine drohende Zwangsverheiratung sieht das VG ebenfalls nicht, da auch die Klägerin angegeben hatte, sich dieser schon früher erfolgreich entzogen zu haben, so dass diese auch nicht Grund für ihre Ausreise gewesen sei.
Die Kammer sieht aber aufgrund der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) einen Anspruch auf Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK gegeben. Ein solcher läge u.a. vor, wenn erhebliche Gründe dafürsprächen, dass der oder die Betroffene im Zielland schlechten sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen ausgesetzt sei, wie fehlendem Zugang zu Arbeit, Wasser, Nahrung und Gesundheitsversorgung und es an Unterkunft etc. fehle. Die Kammer gehe zwar bei gesunden und erwerbsfähigen Menschen trotz der schwierigen Verhältnisse in Gambia grundsätzlich davon aus, dass eine Existenzsicherung auch ohne familiäre Unterstützung möglich sei. In Einzelfällen könne dies aber anders zu beurteilen sein. Dies sieht das VG für die Klägerin gegeben. Diese gehöre wegen ihrer bereits seit 4 Jahren bestehenden HIV-Infektion und ihrer psychischen Verfassung zu einer besonders vulnerablen Personengruppe, so dass bei ihr nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie sich auf dem schwierigen Arbeitsmarkt Gambias durchsetzen und ihre Existenz sichern könne.
Sie leide außerdem immer noch an den psychischen Folgen der erlittenen Zwangsprostitution, die sich ohne Unterstützung bei einer Rückkehr nach Gambia ohne Arbeitsmöglichkeit auch verschlechtern würden.
Das Gericht macht Ausführungen dazu, wie schwierig der Arbeitsmarkt in Gambia insbesondere für Frauen sei, die überwiegend im Niedriglohnsektor arbeiten. In Deutschland sei es der Klägerin mithilfe der Unterstützung der Organisation SOLWODI gelungen, einer Arbeit nachzugehen. Derartige Unterstützung gäbe es in Gambia nicht.
Auch auf familiäre Unterstützung könne die Klägerin nicht zurückgreifen. Daher sei für sie im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu befürchten und Abschiebeschutz zuzusprechen.
Situation der Frauen in Gambia; HIV-Infektion; PTBS; Zwangsprostitution, Menschenhandel, Zwangsverheiratung; Flüchtlingsanerkennung, Abschiebeschutz
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