Positive Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren um Kostenübernahme für medizinisch notwendige Behandlung für minderjährigen Asylbewerber; Ablehnung der Kostenübernahme mit der Begründung, als zur Sicherung der Gesundheit nicht unerlässlich, nur mit besonderer Rechtfertigung und nur in Ausnahmefällen zulässig; Fokus auf Kindeswohl gem. UN-Kinderrechtskonvention
Das Landessozialgericht (LSG) bestätigt die Kostenerstattungspflicht des Sozialamtes für die Operation eines minderjährigen Asylbewerbers. Der 2006 geborene Junge mit georgischer Staatsangehörigkeit litt an einer fortschreitenden Erkrankung, die unter anderem Kleinwuchs und schwere Knochenwachstumsstörungen verbunden mit permanenten Schmerzen mit sich brachte. Zur Fortbewegung war er auf einen Rollstuhl angewiesen. Um eine bessere gesundheitliche Versorgung für ihren Sohn zu erhalten, reisten seine Eltern mit ihm 2022 nach Deutschland ein und stellten Asylanträge, die jedoch abgelehnt wurden. Klagen dagegen sind anhängig. Einstweiliger Rechtsschutz wurde ebenfalls zunächst abgelehnt, dann jedoch zugesprochen, da aufgrund der medizinischen Erkenntnisse ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit vorlägen.
Der Kläger bezieht mit seiner Familie Grundleistungen nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Er war medizinisch untersucht und eine zeitnahe Operation zur Korrektur der unteren Extremitäten empfohlen worden. Dies könne zur Schmerzfreiheit führen und dazu, dass der Junge ohne Hilfsmittel laufen könne. Die Kosten wurden mit rund 17.000 EUR avisiert. Das Sozialamt lehnte die Kostenübernahme jedoch ab, da der Aufenthalt der Familie wegen der Abschiebeandrohung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nur vorübergehend und die Behandlung gem. § 4 AsylbLG nicht erforderlich und nach § 6 AsylbLG nicht zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich oder zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten sei. Das Sozialgericht (SG) verpflichtete auf den Eilantrag der Eltern den Landkreis zur Kostenübernahme. Diese Entscheidung bestätigt der Senat des LSG und erklärt, der Junge habe nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage einen entsprechenden Anspruch auf Gesundheitsleistungen nach §§ 4, 6 AsylbLG. Der Senat konkretisiert in seiner Begründung seine Rechtsprechung zu medizinischen Leistungen für Minderjährige nach dem AsylbLG unter Einbeziehung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18.07.2012. Danach müsse vor allem bei Kindern im Lichte des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und unter Berücksichtigung der UN-Kinderrechtskonvention besonders gerechtfertigt werden, wenn eine nach den deutschen Standards medizinisch erforderliche Behandlungsmaßnahme als nicht zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich abgelehnt werde. Die Behörde müsse dazu neben den Umständen des Einzelfalles auch die Qualität des betroffenen Grundrechts, das Ausmaß und die Intensität der tatsächlichen Beeinträchtigung im Falle der Leistungsablehnung sowie die voraussichtliche und bisherige Aufenthaltsdauer des*der Ausländer*in in Deutschland einbeziehen. Der Senat stellt fest, dass das SG nach diesen Kriterien mit Verweis auf die Folgen einer Ablehnung der Leistungen die OP zutreffend als unerlässliche Maßnahme i.S.d. § 6 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 AsylbLG bejaht habe, da durch sie die Aussicht bestünde, dass der Junge sich zukünftig ohne Rollstuhl oder andere Hilfsmittel und schmerzfrei bewegen könne. Daher und auch, weil der Kläger wahrscheinlich noch länger in Deutschland bleibe, sei es nicht gerechtfertigt, ihm die medizinisch dringend indizierte Maßnahme vorzuenthalten.
Asylbewerberleistungsgesetz, Sozialleistungen, Kostenübernahme medizinischer Behandlungen Minderjähriger
Entscheidung im Volltext:
lsg_niedersachsen_bremen_20_06_2023 (PDF, 189 KB, nicht barrierefrei)