BGH, Beschluss vom 16.8.2023
Aktenzeichen 2 StR 308/22 (Angeklagter)

Stichpunkte

Höchstrichterliche Revisionsentscheidung in Strafverfahren wegen Zwangsprostitution u.a.; Teilaufhebung einer Verurteilung zu mehrjähriger Freiheitsstrafe wegen Nichtgewährung des letzten Wortes; Ausführungen zum Wiedereintritt in die Verhandlungen

Zusammenfassung

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hebt auf Revision des Angeklagten dessen Verurteilung wegen Verfahrensfehlern teilweise auf.

Der Angeklagte war u.a. wegen Zuhälterei und schwerer Zwangsprostitution zu einer Freiheitsstrafe von über sieben Jahren verurteilt worden. Seine Revision hat bezogen auf geltend gemachte Verfahrensfehler Erfolg.

Nach Abschluss der Beweisaufnahme hatten Staatsanwaltschaft (StA) und Nebenklagevertretung ihre Schlussanträge gestellt. Die StA hatte Vermögenseinziehung zugunsten zweier Nebenklägerinnen beantragt. Im nächsten Termin hatten die Verteidiger*innen ihr Plädoyer gehalten und der Angeklagte hatte das letzte Wort.

Danach wurde die Hauptverhandlung unterbrochen. Einen Tag vor dem Fortsetzungstermin reichte ein*e Nebenklagevertreter*in bei Gericht an den Angeklagten gerichtete Schreiben ein, in denen zum einen Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 EUR für eine der beiden Nebenklägerinnen und 40.000 EUR für Prozesskostenhilfe und Mahnverfahren für die andere Nebenklägerin beantragt wurde.

Der Nebenklagevertreter kündigte weiter an, im Fortsetzungstermin Wiedereintritt in die Beweisaufnahme zu beantragen, um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, die Ansprüche evtl. anzuerkennen. Im Fortsetzungstermin wurden diese Anträge mit allen Verfahrensbeteiligten erörtert. Die Nebenklägerinnen erklärten erneut, einem Täter-Opfer-Ausgleich nicht zuzustimmen. Die StA und das LG erklärten keinen Bedarf für einen Wiedereintritt in die Beweisaufnahme zu sehen. Danach wurde das Urteil verkündet, ohne dass dem Angeklagten erneut die Möglichkeit zum letzten Wort gegeben worden wurde.

Hierin sieht der Senat einen Verstoß gegen § 258 Abs. 2 Hs. 2, Abs. 3 Strafprozessordnung (StPO), da dem Angeklagten nach der Erörterung des beantragten Wiedereintritts in die Beweisaufnahme die Gelegenheit zur Stellungnahme im Rahmen des letzten Wortes hätte gegeben werden müssen.

Der Senat führt aus, dass ein Wiedereintritt ins Verfahren auch ohne ausdrückliche Erklärung erfolgen könne. Dies sei vorliegend (stillschweigend) geschehen, indem das LG mit den Verfahrensbeteiligten über den Antrag des Nebenklagevertreters beraten hat. Der Antrag sei darauf gerichtet gewesen, dem Angeklagten die Möglichkeit einer Anerkennung der Schadensersatzansprüche zu geben, was wiederum Einfluss auf die Strafzumessung hätte haben können. In der Erörterung sei daher ein faktischer Wiedereintritt in die Verhandlung zu sehen.

Der Senat erklärt, er schließe zwar aus, dass der Angeklagte im Falle der Erteilung des letzten Wortes etwas die Schuldsprüche Beinflussendes hätte sagen können. Es sei aber nicht auszuschließen, dass es Einfluss auf die Strafzumessung gehabt hätte, wenn der Angeklagte z.B. Schmerzensgeldansprüche anerkannt hätte, nachdem er bereits auf die Herausgabe sichergestellten Bargeldes in Höhe von über 160.000 EUR gegenüber den Nebenklägerinnen verzichtet hatte.

Der Senat hebt daher in den betroffenen Fällen die Verurteilung auf, was auch zu einer Aufhebung der Gesamtstrafe führt.

Soweit der Angeklagte sich auch gegen seine Verurteilung wegen versuchter Vergewaltigung wendet, sieht der Senat keine Rechtsfehler. Der Angeklagte hatte das Tatopfer telefonisch bedroht und zum Eindringen mit den Fingern in die Vagina bringen wollen. Die Bedrohte hatte aber lediglich vorgegeben, dies zu tun. Das LG habe zutreffend eine versuchte Vergewaltigung gesehen.

Auch die Entscheidung des LG zur Vermögensabschöpfung rügt der Senat. Das LG hatte die Einziehung von rund 60.000 EUR angeordnet. In der Höhe waren u.a. die Prostitutionseinnahmen der beiden Nebenklägerinnen.

Hier rügt der Senat, es lasse sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, ob der Angeklagte tatsächlich in der Höhe Einnahmen aus den Taten hatte, da er den Nebenklägerinnen Schadensersatz angeboten und insoweit auf die Herausgabe des sichergestellten Geldes verzichtet habe. Ein staatlicher Einziehungsanspruch könnte so evtl. erloschen sein, was in der erneuten Verhandlung vor dem LG zu prüfen sei.

Zu dem Verfahren siehe auch BGH-Entscheidung vom 16.08.2023 zur Revision der Nebenklägerin.

Kernpunkte

Wiedereintritt ins Verfahren; Nichtgewährung des letzten Wortes; Verfahrensfehler

 

Entscheidung im Volltext:

Bgh_16_08_2023_rev_angekl (PDF, 175 KB, nicht barrierefrei)

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