LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25.5.2023
Aktenzeichen L 8 AY 14/23 B ER

Stichpunkte

Positive Entscheidung zur Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG im einstweiligen Rechtsschutzverfahren; Leistungsberechtigung nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG; vollziehbare Ausreisepflicht; visumsfreie Einreise nur bei beabsichtigtem Kurzaufenthalt

Zusammenfassung

Der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (LSG) bestätigt den Anspruch der Antragstellerin auf vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Die Antragstellerin, eine serbische Staatsangehörige, leidet an einer paranoiden Schizophrenie. Sie bezieht eine geringe Waisenrente aus Serbien. Nach mehreren Aufenthalten in Deutschland und einem erfolglosen Asylantrag lebte die Antragstellerin bei ihren inzwischen verstorbenen Eltern in Serbien. Im August 2022 reiste sie ohne Visum nach Deutschland ein, um dort zu wohnen und von ihrem in Deutschland lebenden Bruder und dessen Ehefrau Unterstützung zu bekommen. In Deutschland beantragte sie im November 2022 eine Aufenthaltserlaubnis und hilfsweise eine Duldung. Außerdem beantragte ihre Schwägerin in ihrem Auftrag Leistungen nach dem AsylbLG. Die zuständige Behörde lehnte die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG ab, da sie die Antragstellerin als nicht leistungsberechtigte Touristin ansah.

Über den Widerspruch der Antragstellerin gegen die Versagung der Leistungen ist noch nicht abschließend entschieden. Die Antragstellerin beantragte beim Sozialgericht (SG) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, ihr vorläufig Leistungen nach dem AsylbLG zu gewähren. Das SG lehnte dies mit der Begründung ab, die Antragstellerin sei nicht leistungsberechtigt i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 AsylbLG. Über ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise einer Duldung, sei noch nicht entschieden. Die Ausländerbehörde beabsichtige, die Anträge abzulehnen. § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG sei nicht einschlägig, weil die Antragstellerin nicht vollziehbar ausreisepflichtig sei.

Das LSG hob den Beschluss des SG auf und verpflichtet den Antragsgegner, der Antragstellerin vorläufig Leistungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG zu gewähren. Nach dieser Vorschrift sei leistungsberechtigt, wer – wie die Antragstellerin – vollziehbar ausreisepflichtig sei und sich im Bundesgebiet aufhalte. Die Antragstellerin verfüge nicht über einen Aufenthaltstitel bzw. ein Visum. Die für serbische Staatsangehörige vorgesehene Visumsfreiheit für einen Aufenthalt von maximal 90 Tagen finde keine Anwendung. Diese visumsfreie Einreise sei nur möglich, wenn bei der Einreise ein Kurzaufenthalt beabsichtigt sei. Bei lebensnaher Betrachtung der persönlichen und gesundheitlichen Umstände der Antragstellerin sei davon auszugehen, dass sie bereits bei der Einreise einen dauerhaften Aufenthalt beabsichtigte. Hierfür spreche unter anderem, dass die Antragstellerin bereits in Serbien von ihren Eltern gepflegt worden sei und sich nach deren Tod auf die Hilfe ihres Bruders und dessen Ehefrau angewiesen gesehen habe. Der Umstand, dass die Antragstellerin eine Waisenrente beziehe, spreche nicht für eine ausreichende Sicherung des Lebensunterhalts im Heimatland. Es sei derzeit nicht ersichtlich, dass sie in Serbien hinreichende Unterstützung durch Dritte bei der Pflege und Bewältigung des täglichen Lebens erwarten könne. Schließlich könne sich die Antragstellerin auch nicht auf die Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 3 S. 1 AufenthG berufen, da sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte.

 

Entscheidung im Volltext:

LSG_Nds-Bremen_25_05_2023 (PDF, 135 KB, nicht barrierefrei)

Gefördert vom
Logo BMFSFJ
KOK ist Mitglied bei

Kontakt

KOK - Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.
Lützowstr.102-104
Hof 1, Aufgang A
10785 Berlin

Tel.: 030 / 263 911 76
E-Mail: info@kok-buero.de

KOK auf bluesky