Entscheidung im Sozialgerichtsverfahren zur Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für Saisonarbeitnehmer*innen; Voraussetzungen einer zeitgeringfügigen Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGV IV; keine zwangsläufige Berufsmäßigkeit wegen starkem Lohngefälle zum Heimatland; Rentenversicherungsträger trägt grundsätzlich Feststellungslast für das Merkmal der Berufsmäßigkeit; keine Umkehr der Feststellungslast wegen fehlender Angaben zum Lebensunterhalt, wenn der Fragebogen keine Auskunft verlangt
Entscheidung im Sozialgerichtsverfahren zur Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für Saisonarbeitnehmer*innen; Voraussetzungen einer zeitgeringfügigen Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGV IV; keine zwangsläufige Berufsmäßigkeit wegen starkem Lohngefälle zum Heimatland; Rentenversicherungsträger trägt grundsätzlich Feststellungslast für das Merkmal der Berufsmäßigkeit; keine Umkehr der Feststellungslast wegen fehlender Angaben zum Lebensunterhalt, wenn der Fragebogen keine Auskunft verlangt
Das Landessozialgericht (LSG) stellt die Sozialversicherungsfreiheit rumänischer Saisonarbeitnehmer*innen fest und weist die Berufung des Rentenversicherungsträgers zur Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen zurück.
Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb. Sie beschäftigte in den Jahren von 2012 bis 2015 rumänische Saisonarbeitnehmer*innen, für die sie lediglich Umlagen an die Minijob-Zentrale abführte. Vor Abschluss eines Arbeitsvertrages füllten die Saisonarbeitnehmer*innen den in deutscher und rumänischer Sprache abgefassten „Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht/Versicherungsfreiheit rumänischer Staatsangehöriger“ aus. Die Fragen „Stehen Sie in einem Beschäftigungsverhältnis?“ (Frage 1), „Üben Sie in Rumänien eine selbständige Tätigkeit aus?“ (Frage 2), „Sind Sie in Rumänien arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldet?“ (Frage 3), „Besuchen Sie zur Zeit eine Schule, Hochschule, Universität oder eine andere Bildungseinrichtung?“ (Frage 4) und „Beziehen Sie eine Rente in Rumänien?“ (Frage 5) verneinten die Beschäftigten. Die unter Nr. 6 aufgeführte Frage „Sind Sie Hausfrau/Hausmann?“ bejahten die Saisonkräfte. Unter Nr. 7 des Fragebogens hieß es: „Wenn sämtliche vorstehenden Frage mit nein beantwortet wurden: Wovon bestreiten Sie in Rumänien Ihren Lebensunterhalt?“ Hierzu machten die Saisonarbeitnehmer*innen keine Angaben. Dies war nach der damaligen Version des Fragebogens noch zulässig: Wurde die Frage nach einer Tätigkeit als Hausfrau/Hausmann bejaht, musste die Frage, wie der Lebensunterhalt in Rumänien bestritten wird, nicht beantwortet werden. Zwischenzeitlich wurde der Fragebogen abgeändert, so dass die Frage nach dem Lebensunterhalt auch dann beantwortet werden muss wenn die Person angibt, Hausfrau bzw. Hausmann zu sein.
Die Beklagte, die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg, nahm eine berufsmäßige Ausübung der Tätigkeit durch die Saisonarbeitnehmer*innen an und forderte von der Klägerin eine Nachzahlung für Gesamtsozialversicherungsbeiträge i.H.v. 89.605,10 EUR. Eine Beschäftigung oder Tätigkeit wird berufsmäßig ausgeübt i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV), wenn sie für die Person nicht nur von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung ist und sie damit ihren Lebensunterhalt überwiegend oder in einem solchen Umfang bestreitet, dass ihre wirtschaftliche Situation zu einem erheblichen Teil auf dieser Beschäftigung beruht. Wird eine Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt, ist der*die Beschäftigte regelmäßig versicherungspflichtig. Die Angaben der Saisonarbeitnehmer*innen in den von den Sozialversicherungsträgern gestellten Fragebögen zur Feststellung der Versicherungspflicht/Versicherungsfreiheit stellen dabei die wesentliche Grundlage für diese Einstufung dar.
Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, sie habe davon ausgehen dürfen, dass sie mit der Verwendung der von den Sozialversicherungsträgern vorgeschriebenen Fragebögen ihren Pflichten nachgekommen sei. Eine Recherche- und Nachprüfungspflicht zu der Frage, ob die Beschäftigung für die*den selbstbezeichnete*n Hausfrau bzw. Hausmann von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung sei, habe nicht bestanden. Die Darlegungs- und Beweislast für die Feststellung der Berufsmäßigkeit liege nicht bei dem Beschäftigungsbetrieb, sondern bei der Beklagten. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens half die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin teilweise ab, so dass sich die Nachforderung auf 87.795,10 EUR reduzierte. Bezüglich eines Beschäftigten nahm die Klägerin den Widerspruch teilweise zurück.
Das Sozialgericht (SG) gab der Klage der Klägerin gegen die Nachforderung statt. Die Beschäftigung der Saisonarbeitnehmer*innen sei mangels Berufsmäßigkeit zeitgeringfügig i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV und diese infolgedessen nicht versicherungspflichtig.
Das LSG schließt sich dieser Ansicht an und weist die Berufung des Sozialversicherungsträgers gegen die Entscheidung des SG zurück. Es ließe sich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, ob die Saisonarbeitnehmer*innen ihre Tätigkeit berufsmäßig ausgeübt hatten. Das gehe zulasten der Beklagten.
Allein die Angabe, Hausfrau bzw. Hausmann zu sein, führe nicht zwangsläufig zur Versicherungs- und Beitragsfreiheit. Der Status Hausfrau bzw. Hausmann setze voraus, dass die Arbeitnehmer*innen dem Arbeitsmarkt grundsätzlich nicht zur Verfügung ständen (z.B. bei Pflege von Familienangehörigen) und auch nicht als „Arbeitslose“ beurteilt werden könnten. Vorliegend bestehe die Besonderheit, dass die Klägerin zur Beurteilung der Versicherungspflicht einen zweisprachigen Fragebogen verwendet habe, den die Sozialversicherungsträger zur Verfügung gestellt hatten. Das LSG widersprach insofern dem Vorbringen der Beklagten, der von den Saisonarbeitnehmer*innen angegebene Status als Hausfrau bzw. Hausmann sei nicht plausibel. Diese Angabe könne gerade nicht auf Schlüssigkeit geprüft werden, weil die Gestaltung des Fragebogens auf nähere Angaben, wie der Lebensunterhalt in Bulgarien bestritten wird, verzichtete. Die Beklagte selbst sei für die lückenhafte Gestaltung der Fragebögen verantwortlich. Sie könne der Klägerin nicht ihre eigenen Versäumnisse bei der Aufklärung des Sachverhalts anlasten. Die Argumentation der Beklagten – die Klägerin habe ihre Pflichten zur Aufklärung des Sachverhalts verletzt, was zu einer Beweislastumkehr führe – verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog) und stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar. Sonstige Indizien, die für eine Berufsmäßigkeit sprächen, liegen nicht vor.
Entscheidung im Volltext: