LG Bielefeld, Urteil vom 2.12.2021
Aktenzeichen 04 KLs-676 Js 343/20-7/21

Stichpunkte

Umfangreiche Entscheidung im Strafverfahren u.a. wegen Menschenhandels, Zwangsprostitution und erpresserischen Menschenraubes; Jugendstrafen bis zu 4 Jahren; 40.000 EUR Schmerzensgeld für Nebenklägerin; Loverboy-Methode

Zusammenfassung

Das Landgericht (LG) verurteilt vier Angeklagte im Alter von 21 bis 22 Jahren u.a. wegen Menschenhandels, Zwangsprostitution und erpresserischen Menschenraubes zu Jugendstrafen von 1 bis 4 Jahren.

Die zum Tatzeitpunkt 19- und 20-jährigen Angeklagten B und C, die gut befreundet sind, lernten im Juni 2019 die Nebenklägerin UU kennen, die unter einer Intelligenzminderung leidet und als Prostituierte arbeitete. Um von ihren Einnahmen zu profitieren, täuschte B gemäß des gemeinsamen Tatplans mit C vor, in UU verliebt zu sein, was dazu führte, dass diese ihn und C an ihren Einkünften beteiligte und B einen Wohnungsschlüssel gab. B und C warben online für die sexuellen Dienstleistungen von UU und erkundigten sich regelmäßig nach ihren Einnahmen. Als UU erkannte, dass die beiden nur an ihrem Geld interessiert waren, weigerte sie sich, weiter für sie zu arbeiten. C drohte ihr daraufhin, ihre vermeintliche Beziehung zu B zu beenden und sie bei ihrem Arbeitgeber und dem Arbeitsamt zu melden. Aus Angst vor diesen Drohungen setzte UU ihre Prostitution bis Februar 2020 fort. B erhielt wöchentlich Beträge zwischen 150 und 500 EUR, während C in mehrmals Summen zwischen 20 und 500 EUR erhielt. Zwischen November 2019 und Januar 2020 hatten die Angeklagten keinen Kontakt zu UU, da sie in dieser Zeit eine Beziehung zu einem anderen Mann hatte.

Mitte Februar 2020 vereinbarten die Angeklagten B und C mit dem ebenfalls zum Tatzeitpunkt 19-jährigen angeklagten A, dass dieser gegen Bezahlung auf die Zeugin UU aufpassen solle. Da er jedoch nicht wie verabredet Geld von B und C erhielt, kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen A und dem C, bei der A den C mit einem Schlagstock verletzte und zudem aufforderte, sich von der Zeugin UU fernzuhalten, was C auch befolgte.

A kontaktierte den B, nachdem er von dem zum Tatzeitpunkt 20-jährigen Mitangeklagten D erfahren hatte, dass B die Zeugin UU an D verkaufen wolle und forderte eine Beteiligung am Verkaufserlös, da er bisher noch nicht von UU‘s Einnahmen profitiert hatte. D zahlte an A und B eine Anzahlung von mindestens 3.000 EUR auf den vereinbarten Kaufpreis von 15.000 EUR und erhielt den Schlüssel zu UU‘s Wohnung, wobei er plante, diese gegebenenfalls mit Gewalt zur Fortsetzung der Prostitution zu zwingen und die Einnahmen für sich zu behalten. Nach der Anzahlung leistete der D keine weiteren Zahlungen mehr.

Ende Februar 2020 gelang es der UU, sich dem Kontakt zu D zu entziehen, indem sie für zwei Wochen bei ihrem Freund einzog. Dies verärgerte D und A und sie planten, die UU mit Drohungen und Gewalt zur Prostitution zu zwingen.

Als die UU im März 2020 mit ihrem Freund in ihre Wohnung zurückkam, drangen A und D mit zwei anderen Personen in die Wohnung gewaltsam ein. D schlug die UU mit einem Schlagstock und nahm ihr ihr berufliches und auch ihr privates Handys weg, damit sie nicht die Polizei rufen könne. Da die UU sich weiterhin weigerte, der Prostitution nachzugehen, zwangen sie sie gegen Mitternacht unter Androhung von Gewalt, in D‘s Auto zu steigen, um sie in einer Bordellwohnung unterzubringen, was jedoch scheiterte. Auf einem Parkplatz misshandelten sie die Frau weiter, um sie zur Prostitution zu zwingen. Außerdem zwangen sie sie, ihnen ihre EC-Karte und ihre Schlüssel zu geben. Anschließend brachten sie die UU in ihre Wohnung zurück und schlossen sie dort ein. Am nächsten Morgen kehrten sie zurück und versuchten – wieder ohne Erfolg –, die UU unter Androhung von massiver Gewalt zur Prostitution zu bringen.

Daraufhin schlossen A und D die UU erneut ein. Die Nebenklägerin, die unter dem Druck der massiven Drohungen keinen anderen Ausweg sah, sprang aus dem Fenster ihrer im 2. Stock liegenden Wohnung und zog sich lebensgefährliche Verletzungen zu. Sie musste – und muss auch noch zukünftig – mehrfach operiert werden.

Bei der Strafzumessung wurde zugunsten der Angeklagten berücksichtigt, dass sie sich zu Schmerzensgeldzahlungen verpflichtet und diese bereits teilweise geleistet hatten. A, B und C zahlten jeweils der Nebenklägerin ein Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 2.000 EUR, wobei dies bei A lediglich eine Anzahlung aufgrund der noch nicht endgültig festgestellten Höhe des Schmerzensgeldanspruches darstellt. D hatte sich in der Hauptverhandlung in einem Vergleich mit der Nebenklägerin verpflichtet, dieser ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 EUR zu zahlen, wovon er 30.000 EUR bereits gezahlt und sich für den Rest zu Ratenzahlung verpflichtet hatte.

 

Entscheidung im Volltext:

lg_bielefeld_02_12_2021 (PDF, 115 KB, nicht barrierefrei)

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