Bemerkenswerter, stattgebender Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsbeschwerdeverfahren einer non-binären Person gegen Auslieferung nach Ungarn; Verstoß gegen Aufklärungspflicht hinsichtlich Haftbedingungen; Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 GRCh
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin (KG) aufgehoben, die die Auslieferung einer sich als non-binär identifizierenden Person nach Ungarn für zulässig erklärt hatte. Die Person war beschuldigt worden, im Februar 2023 in Budapest rechtsextreme Sympathisanten angegriffen zu haben. Im Dezember 2023 war sie in Berlin festgenommen worden. Gegen ihre Auslieferung nach Ungarn hatte sie Auslieferungshindernisse geltend gemacht. Das KG hatte die Auslieferung gleichwohl für zulässig erklärt. Mit Beschluss vom 28. Juni 2024 hatte das BVerfG die Übergabe der Person zwar an die ungarischen Behörden im Wege eines Eilverfahrens vorläufig untersagt. Zu diesem Zeitpunkt war sie jedoch bereits an die ungarischen Behörden übergeben worden.
Das BVerfG stellt im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde der betroffenen Person in seiner vorliegenden Entscheidung nun fest, dass der angegriffene Beschluss sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) – Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung – verletzt. Das KG sei seiner hieraus folgenden Pflicht zur vollständigen Aufklärung des für die Überstellung erheblichen Sachverhalts nicht ausreichend gerecht geworden. So habe das KG die Haftbedingungen in Ungarn nicht ausreichend geprüft, obwohl es Hinweise auf systemische Mängel wie Überbelegung und Gewalt gegen Häftlinge gegeben habe. Stattdessen habe das KG sich auf ältere Informationen gestützt, ohne neuere Berichte zu berücksichtigen, die insbesondere auf die Diskriminierung von LGBTQ+-Personen in ungarischen Gefängnissen hinweisen.
Das KG stellte in der zugrunde liegenden Entscheidung fest, dass sich eine Garantieübernahme des ungarischen Justizministeriums über diskriminierungsfreie Haftbedingungen ergebe und daraus eine Kontrolle ihrer Einhaltung durch die Justizvollzugsanstalt vorliege. Dies führe zu einer besonders sorgfältigen Risikoanalyse unter Berücksichtigung der Identifizierung der Person als non-binär. Dies verneinte das BVerfG jedoch. Es ergäbe sich aus den vorgelegten Unterlagen nicht, dass die geschlechtliche Identität der Person registriert werden würde. Vielmehr hätten die ungarischen Behörden erklärt, dass ein Register über die Geschlechtsidentität der Gefangenen nicht geführt werde. Wenn somit auch Angriffe aus Gründen der Geschlechtsidentität der Angegriffenen nicht als solche registriert werden würden, erschlösse sich der Kammer nicht, wie gezielt gegen solche Diskriminierungen vorgegangen werden könne und betroffene Personen hiervor geschützt werden könnten.
Außerdem betont der Senat, dass die überstellenden Behörden bzw. Gerichte stets der Pflicht unterliegen, die Erklärungen und Zusicherungen des um Überstellung bittenden Staates mittels einer eigenen Gefahrenprognose auf ihre Belastbarkeit zu überprüfen. Dies habe das KG vorliegend jedoch nicht getan.
Insgesamt kam das BVerfG zu dem Schluss, dass der Beschluss des KG die Grundrechte der beschwerdeführenden Person verletze und aufzuheben sei.
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