SG Karlsruhe, Beschluss vom 19.2.2025
Aktenzeichen S 12 AY 424/25 ER

Stichpunkte

Lesenswerter, positiver Beschluss im sozialgerichtlichen Eilverfahren um Leistungsausschluss in „Dublin-Fällen“; Überbrückungsleistungen; SG erklärt Leistungsausschluss für voraussichtlich verfassungs- und europarechtswidrig

Zusammenfassung

In einer Eilentscheidung erklärt das Sozialgericht Karlsruhe (SG) die Regelungen nach § 1 Abs. 4 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für voraussichtlich verfassungswidrig, hebt einen Ausschlussbescheid gegen die Antragstellerin auf und verpflichtet das Sozialamt zur Zahlung vorläufiger Leistungen.

Die Antragstellerin war im Juli 2024 über Kroatien nach Deutschland eingereist und hatte Asyl beantragt. Die zuständige Behörde wies ihr ein Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft zu und bewilligte Leistungen gem. §§ 3, 3a AsylbLG.

Im Januar 2025 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung in das nach der Dublin III-Verordnung für das Asylverfahren zuständige Land Kroatien an. Die Asylbewerbergeldleistungen in Höhe von 397 EUR wurden zunächst noch im Februar 2025 gezahlt und mit Bescheid vom 10.02.2025 rückwirkend zum 19.01.25 eingestellt. Stattdessen wurde die Gewährung von Überbrückungsleistungen für eine Dauer von zwei – bereits vergangenen – Wochen bewilligt, die jedoch durch die Leistungen im Februar 2025 bereits abgegolten waren. Das Sozialamt stellte zugleich eine verbleibende Überzahlung aufgrund der für Februar gezahlten Leistungen fest und forderte die Frau zur Erstattung eines Betrages von rund 60 EUR auf. Außerdem entzog das Sozialamt ihr mit Bescheid vom 17.02.25 das Nutzungsrecht für ihr Zimmer in der Unterkunft zum 21.02.25, drohte für den Fall der nicht freiwilligen Räumung unmittelbaren Zwang an und veranlasste bereits den Wechsel des Türschlosses.

Die somit von Obdachlosigkeit bedrohte Frau legte Widerspruch ein und beantragte eine gerichtliche Eilentscheidung. Das SG hebt den Bescheid des Leistungsausschlusses daraufhin auf und verpflichtet die Behörde zur vorläufigen Gewährung von Asylbewerberleistungen. Es erklärt mit umfassender Begründung, der Leistungsausschluss durch den im Oktober 2024 neu geschaffenen § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AsylbLG verletze voraussichtlich das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG. Es handele sich um einen vollständigen Leistungsausschluss, der durch das Verweigern einer materiellen Existenzgrundlage migrationspolitischen Zwecken diene, indem Einreiseanreize vermieden und zur Ausreise aus Deutschland motiviert werden solle. Dies gelte auch für sog. Dublin-III-Fälle, in denen Asylanträge wegen der Zuständigkeit anderer Staaten abgelehnt werden. In diesen Fällen könnten Betroffene oft nicht innerhalb von zwei Wochen (in denen sog. „Überbrückungsleistungen“ gewährt werden können) ausreisen.

Darüber hinaus verletze § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AsylbLG voraussichtlich auch die europarechtlichen Regelungen über die Mindeststandards der Versorgung während des Asylverfahrens.

Die zuständige Behörde sei daher zur vorläufigen Zahlung von Grundleistungen zu verpflichten.

Kernpunkte

Leistungsausschluss in Dublin-Verfahren

 

Entscheidung im Volltext:

SG_Karlsruhe_19_02_2025 (PDF, 500 KB, nicht barrierefrei)

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