Positive Entscheidung im Asylverfahren um Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für von Zwangsheirat und Genitalverstümmelung betroffene Senegalesin und ihre Tochter; Widerlegung der Einstufung Senegals als sicherer Herkunftsstaat; Ausführungen zur Situation der Frauen und zu den Lebensumständen allgemein im Senegal
Das Verwaltungsgericht (VG) spricht einer Senegalesin und ihrer Tochter die Flüchtlingseigenschaft zu.
Die Klägerin war im März 2022 nach Deutschland eingereist und hatte zusammen mit ihrer Tochter einen Asylantrag gestellt. Sie gab an, im Senegal zwangsverheiratet worden zu sein. Nach dem Tod des Mannes und ihrer Flucht vor seiner Familie fühle sie sich von dieser bedroht und befürchte für ihre Tochter im Falle einer Rückkehr die Genitalverstümmelung durch die Familie des Mannes.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte die Anträge als unbegründet ab.
Auf die Klage der Frauen hiergegen, verpflichtet das VG das BAMF, ihnen die Flüchtlingsanerkennung zuzusprechen. Dabei stellt das VG fest, im Falle der Klägerinnen wirke sich der Streit um die Einstufung des Senegals als sicherer Herkunftsstaat nicht aus, da sie durch ihr Vorbringen die im Falle eines sicheren Herkunftsstaates angenommene Nichtverfolgung gem. § 29 Asylgesetz (AsylG) schlüssig widerlegt hätten.
Die Mutter sei aufgrund der Zwangsehe bereits vorverfolgt ausgereist. Nach dem Tod des Zwangsehemannes drohe ihr Gewalt durch die Familie des Mannes und erneute Zwangsverheiratung. Zwangsverheiratung stelle eine geschlechtsspezifische Verfolgung dar. Eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe könne nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH vom 16.01.2024) auch allein an das Geschlecht anknüpfen. Dies träfe auf die Frauen im Senegal zu, da ihnen dort eine minderwertige Identität zugesprochen werde und sie Diskriminierungen und sexuellen Übergriffen schutzlos ausgeliefert seien.
Das VG verweist auf die sog. Istanbul-Konvention, nach der Gewalt gegen Frauen aufgrund ihres Geschlechts als Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention einzustufen sei. Das Gericht stellt umfassend die Situation der Frauen im Senegal, insbesondere im Hinblick auf Zwangsverheiratungen und Genitalverstümmelung, dar.
Die Klägerin sei auch aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe von Verfolgung bedroht. Frauen, die wie die Klägerin eine Zwangsehe ablehnten oder sich dieser entzögen, würden im Senegal stigmatisiert und als Teil einer sozialen Gruppe mit deutlich abgrenzbarer Identität als andersartig betrachtet und stigmatisiert.
Für die Tochter der Klägerin stellt das VG ebenfalls die Gefahr einer geschlechtsspezifischen Verfolgung im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG fest, da sie im Falle einer Rückkehr mit großer Wahrscheinlichkeit Opfer von Genitalverstümmelung werden würde. Es sei nicht anzunehmen, dass die Mutter dies verhindern könne, da diese Praxis in der Familie üblich sei.
Es gäbe für die Klägerinnen auch keine innerstaatliche Schutzalternative.
Das VG erläutert ausführlich die Voraussetzungen und kommt zu dem Schluss, dass es der Klägerin als alleinerziehende Mutter in einem anderen Gebiet als ihrer Herkunftsregion, nicht möglich sei, eine für sich und ihre Tochter ausreichende Existenzgrundlage zu schaffen.
Sicherer Herkunftsstaat Senegal; Widerlegung der Einstufung als sicherer Herkunftsstaat; Istanbul-Konvention
Entscheidung im Volltext: