OLG Hamm, Beschluss vom 11.5.2010
Aktenzeichen 2 Ws 86/10

Stichpunkte

Strafverfahren wegen Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung; Tatbestandsmerkmal "Dazu-Bringen"; allein die Zimmervermietung zur Prostitutionsausübung an unter 21-Jährige nicht ausreichend; Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BGHs und dem Prostitutionsgesetz.

Zusammenfassung

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm stellt in dieser Leitsatzentscheidung fest: Der Tatbestand des Menschenhandels ist nicht schon allein dadurch erfüllt, dass an unter 21-Jährige Zimmer zur Prostitutionsausübung vermietet werden. Ein "Dazu-Bringen" im Sinne des § 232 Strafgesetzbuch (StGB) erfordert vielmehr, dass der Entschluss, die Prostitution aufzunehmen bzw. fortzusetzen auf eine Einflussnahme des Täters bzw. der Täterin zurückzuführen ist, also von diesem bzw. dieser hervorgerufen wurde. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) und das Prostitutionsgesetz (ProstG) führt das Gericht aus, dass dies auch für die besonders schutzwürdige Altersgruppe der unter 21-Jährigen gilt.

Die Staatsanwaltschaft Bochum hatte Anklage gegen zwei Männer erhoben, die 2009 in ihrem Bordell Zimmer zur Prostitutionsausübung an drei ausländische Frauen unter 21 Jahren vermietet hatten. Die Frauen hatten schon vorher als Prostituierte gearbeitet und waren wegen besserer Verdienstaussichten in das Bordell der Angeschuldigten gewechselt, ohne jedoch von diesen angeworben oder überhaupt angesprochen worden zu sein. Die Staatsanwaltschaft sah allein aufgrund des Alters, in der Überlassung der Zimmer an unter 21-Jährige zur Prostitutionsausübung Menschenhandel gegeben.

Das Landgericht (LG) Bochum lehnte jedoch die Eröffnung des Hauptverfahrens ab, da es den Tatbestand des Menschenhandels nicht erfüllt sah. Ein "Dazu-Bringen" im Sinne des § 232 Absatz 1, Satz 2 StGB sei eng auszulegen. Es reiche nicht schon jedes Angebot die Prostitution auszuüben, wie die gewerbliche Zimmervermietung. Auch bei unter 21-Jährigen sei das Angebot der Zimmerüberlassung dann nicht strafbar, wenn die Person schon vorher aus freien Stücken zur Ausübung der Prostitution entschlossen war. Das Landgericht verweist auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich ebenfalls darauf bezieht, ob die Person auch ohne Einfluss des Täters bzw. der Täterin zur Prostitution entschlossen war. Nur wenn die Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution auf Handlungen des Täters bzw. der Täterin zurückzuführen ist, liege ein "Dazu-Bringen" vor.

Diese Auslegung sieht das Landgericht bestätigt durch das Prostitutionsgesetz. Der Gesetzgeber hatte unter Verweis auf die Eigenverantwortlichkeit der Prostituierten die Strafbarkeit der Förderung der Prostitution abgeschafft. Der Bordellbetrieb ist nur dann strafbar, wenn Zimmer an unter 18-Jährige vermietet werden. Die Altersgrenze von 21 Jahren findet sich weder im ProstG noch im Straftatbestand der Zuhälterei. Die Altersgruppe der 18 bis 21 Jährigen sei zwar besonders schutzbedürftig, jedoch nur soweit ein Eingriff in ihre sexuelle Selbstbestimmung vorliege.

Das Oberlandesgericht Hamm schließt sich der Auffassung des Landgerichts an und verwirft die Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Es bestätigt, dass ein "Dazu-Bringen" und damit Menschenhandel nur dann vorliegt, wenn ein bislang nicht vorhandener Entschluss zur Aufnahme oder Fortsetzung einer ausbeuterischen Beschäftigung durch den Täter bzw. die Täterin hervorgerufen wurde. Dabei verweist es auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes von Januar 2010 in einem Verfahren wegen Menschenhandels zur Ausbeutung der Arbeitskraft.

Der Wertung des Prostitutionsgesetzes widerspricht es, die bloße Zimmervermietung zur Prostitutionsausübung an Volljährige, aber noch nicht 21-Jährige, als Menschenhandel zu bestrafen. Die Angeschuldigten bleiben damit straffrei.

Entscheidung im Volltext:

OLG_Hamm_11_05_2010 (PDF, 122 KB, nicht barrierefrei)

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