Die Mehrheit der Betroffenen von Menschenhandel in der Europäischen Union sind EU-Bürger*innen, unterstrich am 19.12. die EU-Innenkommissarin Ylva Johanson, die gemeinsam mit der EU-Koordinatorin gegen Menschenhandel, Diane Schmitt, einerseits neue Pläne zur Überarbeitung der EU-Richtlinie gegen Menschenhandel und zugleich den vierten Fortschrittsbericht der EU über Maßnahmen im Kampf gegen Menschenhandel vorstellte.
Die vorgeschlagenen Änderungen an der Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels beinhalten die Aufnahme von Zwangsheirat und illegaler Adoption als Formen der Ausbeutung, die unter Strafe gestellt werden sollen. Zusätzlich soll die wissentliche Inanspruchnahme von Dienstleistungen, die durch Betroffene des Menschenhandels erbracht werden unter Strafe gestellt werden.
Das Internet spielt bei der Anwerbung und Ausbeutung von Betroffenen eine zunehmend wichtige Rolle. Künftig sollen auch hier härtere Strafen gegen Unternehmen verhängt werden können, die Menschenhandel mit verantworten.
Die Vorschläge der Europäischen Kommission müssen nun sowohl vom Europäischen Parlament als auch vom Europäischen Rat formell gebilligt werden, um in nationales Recht umgesetzt zu werden.
Der KOK schätzt die Vorschläge der EU-Kommission als bedingt hilfreich ein. Der KOK hatte sich im Zuge der vorangegangenen Evaluierung gegen eine Reform der Richtlinie ausgesprochen, da er diese in vielen Aspekten als ausreichend gut formuliert, jedoch durch die Mitgliedstaaten nicht angemessen umgesetzt bewertet. Auch sind Reformprozesse oft langwierig und blockieren politischen Fortschritt, wie die schwierigen Bemühungen um das Gemeinsame Europäische Asylsystem seit Jahren belegen.
Die Straftatbestände der Zwangsverheiratung und des illegalen Adoptionshandels sind in Deutschland außerhalb der Straftatbestände für Menschenhandel geregelt. Das zusammen zu führen, dürfte kaum zu einer Schärfung des Verständnisses beitragen. Wichtiger wäre es gewesen, eine klarere Definition für Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung voranzubringen.
Auch eine verbindliche Kriminalisierung der wissentlichen Inanspruchnahme von Dienstleistungen, die unter Zwang erbracht werden, dürfte keine grundlegenden Veränderungen schaffen. Zahlreiche Mitgliedstaaten haben dies bereits in ihrer Gesetzgebung verankert, jedoch bisher ohne einen nachweislichen Effekt für den Kampf gegen Menschenhandel. Das belegt auch ein Anfang Dezember veröffentlichtes Policy-Paper der La Strada International Platform, in der der KOK Mitglied ist.
Dem vierten Fortschrittsbericht ist zu entnehmen, dass die Zahl der Verurteilungen in den vergangenen Jahren kaum angestiegen ist, obgleich es mutmaßlich mehr Täter*innen gibt. Die EU-Kommissarin sprach in diesem Zusammenhang von einem großen Problem der Straflosigkeit.
Im begleitend veröffentlichten Factsheet wird aufgeführt, dass jährlich EU-weit mehr als 7.000 Betroffene von Menschenhandel erfasst werden. Das Dunkelfeld sei mutmaßlich wesentlich höher. Den Angaben zufolge sind 63 % der Betroffenen Frauen und Mädchen, etwa ein Viertel aller Betroffenen Kinder. Die Mehrheit der Identifizierten sind EU-Bürger*innen.
Die Statistik zeigt außerdem, dass die meisten Betroffenen zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gehandelt werden. An zweiter Stelle rangiert der Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung von vorwiegend männlichen Arbeitskräften, wobei Landwirtschaft, Baugewerbe, Forstwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung, Reinigungsdienste, Hauswirtschaft und haushaltsnahe Dienstleistungen als besonders gefährdete Sektoren aufgeführt werden.