Am 14. und 15. Oktober 2021 fand in der Berliner Stadtmission die KOK-Fachkonferenz zu Menschenhandel und Datenpolitik statt. Im Rahmen der Fachtagung wurde mit dem Datenbericht eine erste Auswertung des KOK-Datentools mit über 700 Fällen von Menschenhandel und Ausbeutung präsentiert.
Rund 90 Expert*innen, Praktiker*innen und Politiker*innen erörterten Fragen und Herausforderungen zu Datenerhebung im Themenfeld Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland. Derzeit werden die Weichenstellungen für die Einrichtung einer Berichterstattungsstelle zu Menschenhandel in Deutschland vorgenommen. Die verschiedenen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, die zukünftig mit ihr arbeiten werden, haben Erwartungen und Ansprüche dafür diskutiert. Die Fachexpertise der Referent*innen, Podiumsteilnehmer*innen und des Publikums, die Wissen, Erfahrungen und Beispiele zur Erfassung von Daten von Betroffenen von Menschenhandel einbrachten, haben wir im Folgenden für Sie dokumentiert. Neben kurzen Zusammenfassungen finden Sie Audiomitschnitte der verschiedenen Vorträge und Podien.
In ihrer Eröffnung bedankt sich Andrea Hitzke für die Gelegenheit, die verschiedenen Fragestellungen im Bereich Menschenhandel und Datenpolitik zu diskutieren, den zweiten KOK-Datenbericht vorzustellen und den vielschichtigen Aspekten nachzugehen, die mit der Erfassung und Auswertung von Daten zu Menschenhandel in Deutschland verbunden sind.
Andrea Hitzke hebt die Besonderheit des KOK als Schnittstelle zwischen der Praxisebene der spezialisierten Fachberatungsstellen und der Ebene der Politik und Öffentlichkeit hervor, wodurch aktuelle Problematiken und praktische Folgen von gesetzlichen und politischen Maßnahmen und Fragen aus der Praxis auf die politische Ebene transportiert werden können. Sie mahnt außerdem an, dass Deutschland "internationale Abkommen nicht nur in nationales Recht umsetzen sondern durch effektive Maßnahmen zum Leben erwecken" müsse, um tatsächlich Verbesserungen in der Praxis zu erreichen.
Videomitschnitt auf dem KOK-Youtube Kanal
Juliane Seifert beginnt ihre Grußworte mit Verweis auf den Europäischen Tag gegen Menschenhandel am 18. Oktober und der Erinnerung daran, dass Menschenhandel in Deutschland allgegenwärtig sei. Die unterschiedlichen Formen von Menschenhandel und Ausbeutung „führen uns vor Augen, wie Menschen zu Ware und billigen Arbeitskräften degradiert und ausgebeutet werden.“ Dem „müssen wir uns ohne Wenn und Aber entgegenstellen, wie die Fachfrauen des Bundesweiten Koordinierungskreises (KOK) und ihre Kolleginnen in den Fachberatungsstellen“.
Einführend stellt Prof. Dr. Beate Rudolf heraus, dass Menschenhandel eine der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen sei und der Staat aus seiner menschenrechtlichen Schutzpflicht heraus wirksame Prävention und Strafverfolgung betreiben und sicherstellen müsse, dass Betroffene ihre Rechte auf Schutz, Unterstützung und Entschädigung geltend machen können. Den Fachberatungsstellen komme hier eine wichtige, zentrale Rolle zu.
Videomitschnitt auf dem KOK-Youtube Kanal
Diane Schmitt, seit Juli 2021 amtierende EU-Koordinatorin zur Bekämpfung des Menschenhandels, betont, dass für sie die Umsetzung der EU-Strategie zur Bekämpfung des Menschenhandels 2021-2025 oberste Priorität habe.
Wesentlich dafür erachtet sie ein klares, datenbasiertes Bild zu Menschenhandel in Europa und zur Situation der Betroffenen, doch die zur Verfügung stehenden Zahlen seien unvollständig und wenig aktuell. Die Verbesserung von Datenerhebungen und Berichterstattung seien daher wichtige Eckpunkte der EU-Strategie zur Bekämpfung des Menschenhandels.
Denn es brauche vergleichbare, zuverlässige und umfassende Daten, um das Wissen über die Kriminalität zu verbessern, um in der Lage zu sein, Trends zu erkennen und zu bekämpfen, eine evidenzbasierte Politik zu entwickeln sowie die Auswirkungen der ergriffenen Initiativen zu messen.
In ihrem Impulsvortrag gibt Dr. iur. Julia Planitzer einen Überblick über die einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels in Bezug auf die Datenerhebung und die Überwachung der Umsetzung von Maßnahmen gegen den Menschenhandel und stellt die Empfehlungen der Expert*innengruppe GRETA in Bezug auf die Umsetzung vor.
Videomitschnitt Podium I auf dem KOK-Youtube Kanal
Dr. Uhl berichtet in ihrem Impuls über den derzeitigen Stand der Entwicklung einer Berichtserstattungsstelle zu Menschenhandel in Deutschland. Sie hebt zunächst hervor, dass Daten ohne die richtige Einordnung gerade für marginalisierte Gruppen Gefahren bergen können. Beispielsweise werden Betroffene von Menschenhandel oftmals zu Straftaten gezwungen. Diese Daten könnten also gegen sie verwendet werden, dürfen in der Praxis aber keinesfalls als Überwachungsinstrument dienen.
Videomitschnitt Podium II auf dem KOK-Youtube Kanal
Einleitend greifen die KOK-Vorstandsfrauen Claudia Robbe und Andrea Hitzke einige Erkenntnisse und Anstöße aus dem gemeinsamen Austausch des ersten Tages auf. Unter anderem werden die Unabhängigkeit der Berichterstattungsstelle, der sensible Umgang mit den Daten sowie die Lücken zwischen den Statistiken der Behörden (BKA) und der Datenerhebung der Zivilgesellschaft aufgeführt. Auch wird die Frage aufgeworfen, wie gesichert werden könne, dass die Praxis weiterhin bei der Datenerhebung bei gleichzeitig hohem Arbeits- und Ressourcenaufwand mitwirken kann.
Videomitschnitt auf dem KOK-Youtube Kanal
Prof. Ryszard Piotrowicz betont in seinem Vortrag die Problematik des Spannungsverhältnisses zwischen Datensammlung und Datenschutz. Insbesondere bei Betroffen von Menschenhandel müsse deren Privatsphäre respektiert und vor weiteren Menschenrechtsverletzungen geschützt werden. Während diesbezüglich Konsens herrsche, werde die Frage, wie dies umgesetzt werden soll, unterschiedlich beantwortet.
Videomitschnitt Podium III auf dem KOK-Youtube Kanal
Zum Abschluss der Fachtagung sollten politische Vertreter*innen des Bundestages Gelegenheit haben, ihre Einschätzungen und Herausforderungen zu den politischen Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels mit den Expert*innen und Praktiker*innen zu diskutieren. Aufgrund kurzfristiger Sondierungsbedarfe konnten die meisten der eingeladenen parlamentarischen Vertreter*innen schließlich nicht teilnehmen, weshalb das Programm kurzfristig geändert und angepasst wurde.
Um aufzuzeigen, welche Maßnahmen und Strategien zur besseren Bekämpfung des Menschenhandels und Schutzes der Betroffenen es auf politischer Ebene braucht, haben sich die Teilnehmenden mit der Methode des Weltcafés in Kleingruppen ausgetauscht und konkrete Hinweise an die Politik herausgearbeitet. Als sogenannte Blitzlichter wurden die einzelnen Forderungen der Gruppen vorgestellt und als Mitgabe für parlamentarische Vertreter*innen festgehalten.
Filiz Polat, Bundestagsabgeordnete von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, war dafür anwesend, ist mit dem Fachpublikum direkt in Austausch getreten, hat sich an den Reflexionsrunden der Kleingruppen beteiligt und die erarbeiteten Forderungen an die Politik entgegengenommen.