Da die EU-Richtlinie 2011/36 die im Palermo-Protokoll und der Europaratskonvention festgehaltenen Ausbeutungsformen ausdrücklich um die Ausbeutung erzwungener Straftaten erweitere, sei die Richtlinie heute bezüglich der Anwendung der Non-Punishment-Clause in diesen Fällen sehr hilfreich.
Es gebe jedoch einen Unterschied zwischen Fällen, in denen es um Passvergehen gehe und solchen, in denen Drogenvergehen verhandelt werden. Im Fall R v N wurde N, ein Junge, der im Cannabisanbau ausgebeutet wurde, zu neun Monaten Haft und anschließenden neun Monaten Sozialstunden verurteilt. Auch in diesem Fall legte Chandran Berufung ein, der aber nicht stattgegeben wurde. Ns Urteil wurde lediglich auf vier Monate verkürzt, weswegen Chandran den Fall 2012 beim EGMR vorlegte. 2018 wurde der Fall für zulässig erklärt.
Chandran betonte, dass sie trotz dieses Rückschlags nicht aufgeben wollte, und legte in einem weiteren Fall, auf Basis der EU-Richtlinie, Berufung ein. Im Fall R v L and others wurde L, eine Betroffene von sexueller Ausbeutung aus Uganda, für ein Passvergehen verurteilt. Chandran wurde in diesem Fall durch eine Publikation der OSZE zur Anwendung der Non-Punishment-Clause unterstützt. Die Verurteilungen Ls und der anderen Betroffenen wurden aufgehoben. Auch wenn damit ein Präzedenzfall zur Non-Punishment-Clause auf Grundlage der EU-Richtlinie geschaffen wurde, wenden die Gerichte dies aus Sicht Chandrans nicht immer an.
Laut Chandran gebe es weiterhin viele Herausforderungen bezüglich der Non-Punishment-Clause wie zum Beispiel die Identifizierung Betroffener. Betroffene von Menschenhandel würden häufig nicht als solche identifiziert, sondern als Täter*innen behandelt, was unter anderem mit fehlenden Schulungen zu tun haben könnte. Des Weiteren betonte sie die Verpflichtung von Staaten, Menschenhandel strafrechtlich zu verfolgen und die Wichtigkeit von klaren Regelungen und einer festgelegten Praxis.
Abschließend stellte Chandran ein Good-Practice Beispiel aus Großbritannien vor, in dessen Rahmen betroffene, als Drogenkurier missbrauchte Mädchen nicht verurteilt wurden. Stattdessen wurden Schutzmaßnahmen ergriffen, während die Täter hohe Haftstrafen verbüßen mussten.
Der Vortrag von Parosha Chandran ist hier einsehbar.