Am 25. und 26. Oktober 2018 fand im Festsaal der Berliner Stadtmission die KOK-Fachkonferenz „Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland – wo stehen wir zwei Jahre nach Umsetzung der EU-Richtlinie“ statt. Verschiedene nationale sowie internationale Expert*innen diskutierten zwei Jahre nach der Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU zur Bekämpfung des Menschenhandels in Deutschland, was seitdem erreicht wurde und wo noch Verbesserungspotential besteht. Ein besonderer Fokus lag dabei auf den durch die Umsetzung der EU-Richtlinie neu erfassten Straftatbeständen des Menschenhandels zum Zwecke von erzwungenen Betteltätigkeiten und des Menschenhandels zum Zwecke der Ausnutzung strafbarer Handlungen. Es wurde von verschiedenen Seiten beleuchtet, ob und wie Betroffene dieser Ausbeutungsformen erkannt und unterstützt werden können. Der Blick nach Österreich, England und Belgien zeigte dabei, wie andere europäische Länder gegen Menschenhandel vorgehen und gab Impulse, einzelne dort erfolgreiche Maßnahmen auch in Deutschland einzusetzen. Des Weiteren wurde die Non-Punishment-Clause, die dem Schutz der Betroffenen dient, genauer betrachtet. Durch die Teilnahme von Myria Vassiliadou, der EU-Koordinatorin gegen Menschenhandel, und Petya Nestorova, der Generalsekretärin der Europarats-Konvention gegen Menschenhandel, berücksichtigte die Konferenz auch die europäische Perspektive auf die Entwicklungen in Deutschland. Eröffnet wurde die Tagung mit einem Grußwort der parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Caren Marks.
Dr. Claudia Neusüß übernahm die Gesamtmoderation der Fachtagung, deren gesamtes Programm hier zugänglich ist. Im Folgenden finden Sie kurze Zusammenfassungen sowie Tonaufnahmen der verschiedenen Vorträge und Podien.
Die FAZ berichtete im Anschluß über die Konferenz.
Zu Beginn ihres Grußwortes hob Caren Marks hervor, wie aktuell und herausfordernd die Bekämpfung von Menschenhandel sei und wie vielseitig das Phänomen in seinen verschiedenen Formen sein könne. Die Bekämpfung von Menschenhandel sei, wie im Koalitionsvertrag festgehalten, ein Ziel der Bundesregierung. Dabei müsse ein menschenrechtsbasierter und geschlechtsspezifischer Ansatz verfolgt werden, da Menschenhandel zu erheblichen Teilen Gewalt gegen Frauen und Mädchen beinhalte, deren Bekämpfung ebenfalls im Koalitionsvertrag erfasst sei. Zur Umsetzung dieser Ziele sei die Erarbeitung eines neuen Aktionsplanes zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vorgesehen, der auch Maßnahmen für Menschenhandelsbetroffene enthalten solle.
Myria Vassiliadou betonte zu Beginn ihres Einführungsvortrages, dass die KOK-Fachtagung ein gutes Beispiel für den Einbezug der Zivilgesellschaft in die Umsetzung von EU-Recht auf nationalem Level sei. Menschenhandel sei ein äußerst gewinnbringendes Verbrechen. Um die hohen daraus resultierenden Profite besser zu verbildlichen, zog Vassiliadou eine Schätzung von Europol heran, die von 29 Milliarden Euro jährlichem Gewinn für Menschenhändler*innen ausgeht. Sie fügte hinzu, dass Menschenhandel jedoch nicht nur hohe Profite für die kriminellen Täter*innen bereithalte, sondern auch Gewinne für den legalen und illegalen Wirtschaftssektor generiere. Unter Bezugnahme auf einen Bericht von Europol zu Kinderhandel, veröffentlicht im Oktober 2018, betonte sie außerdem die hohen Erträge, die aus der Ausbeutung von Kindern hervorgehen.
Parosha Chandran begann ihren Einführungsvortrag mit einer kurzen Erläuterung der Non-Punishment-Clause. Staaten, die die EU-Richtlinie 2011/36 umgesetzt haben, sind verpflichtet, Menschenhandelsbetroffene vor Strafverfolgung und Strafe zu schützen, wenn die begangenen Straftaten eine direkte Folge des Menschenhandels seien. In ihrem ersten Präzedenzfall von 2008 bezüglich der Non-Punishment-Clause wurde eine menschenhandelsbetroffene Frau wegen eines Passvergehens zu acht Monaten Haft verurteilt. Chandran legte auf Grundlage des Artikels 26 der Europaratskonvention zur Bekämpfung des Menschenhandels Berufung ein und konnte, obwohl Großbritannien die Konvention zu diesem Zeitpunkt lediglich unterzeichnet hatte, sie aber noch nicht in Kraft getreten war, einen Erfolg erringen, der die Non-Punishment-Clause an Großbritanniens Gerichten durchsetzte.
Das Podium I mit dem Titel „Umsetzung der Richtlinie – Beispiele aus anderen europäischen Ländern“ ging der Frage nach, wie die Situation nach der Umsetzung der Richtlinie in anderen EU-Mitgliedsstaaten aussieht. Die Podiumsgäste teilten dabei vor allem Erfahrungen zu Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung von Betteltätigkeiten, zur Unterstützung von männlichen sowie minderjährigen Betroffenen, zur Anwendung der Non-Punishment-Clause sowie zur Kooperation zwischen verschiedenen relevanten Akteuren. Im Folgenden werden die Hauptaussagen der Panelist*innen zusammengefasst wiedergegeben.
Helga Gayer stellte zunächst fest, dass die Umsetzung der EU-Richtlinie in Deutschland lange gedauert habe, damit ein für die Praxis besser handhabbares Gesetz gestaltet werden könne. Eine Evaluierung des Gesetzes von staatlicher Seite sei erst nach 4 Jahren vorgesehen, da die Umsetzung von Gesetzen in der Praxis Zeit brauche, trotzdem gab Gayer erste Einblicke in die Umsetzung aus Sicht der Polizei. Das Bundeslagebild Menschenhandel verzeichne laut Gayer einen Rückgang von Ermittlungsverfahren, was jedoch kein Indiz für einen Rückgang des Menschenhandels sei, sondern nur aussage, wie viele Ermittlungsverfahren die Polizei an die Staatsanwaltschaft abgegeben habe. Der Rückgang könne unter anderem auch eine Änderung der Rahmenbedingungen bei der Polizeiarbeit bedeuten. Gayer stellte anschließend Daten aus dem Bundeslagebild Menschenhandel 2017 des BKA vor und erläuterte die zwei Ermittlungsverfahren, die es im Bereich Ausbeutung von Bettelei gab. Bei Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung von erzwungenen Straftaten gebe es keine Verfahren zu verzeichnen, jedoch sei polizeilich bekannt, dass Verbrecherbanden vermehrt Minderjährige einsetzen, bei denen die Polizei vermutet, dass sie Opfer von Menschenhandel seien.
Das Podium II mit dem Titel „Reformierte Straftatbestände in Deutschland – Erste Erfahrungen der Strafverfolgung und Unterstützung Betroffener“ beschäftigte sich mit der Situation in Deutschland nach der Umsetzung der EU-Richtlinie 2011/36. Im Folgenden werden die Hauptaussagen der Panelist*innen zusammengefasst wiedergegeben.
Zunächst stellte LeCocq das Federal Migration Center Myria vor, das seit 2015 als unabhängige Berichterstattungsstelle in Belgien funktioniere und unter anderem den Auftrag habe, die Bekämpfung von Menschenhandel zu fördern. Die diesbezüglichen Hauptmaßnahmen seien unter anderem die Evaluierung der Umsetzung von Gesetzen in Form von Berichten und die Einleitung von Strafverfahren. Der Bericht 2016 setze dabei einen Schwerpunkt auf Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung von Bettelei.
Auf Podium III „Ansätze der Politik zur Bekämpfung des Menschenhandels – Politiker*innen diskutieren“ kamen Politiker*innen der Parteien Die Linke, Die Grünen/EFA und der FDP zusammen, um die während der Konferenz erarbeiteten Forderungen an die Politik zu diskutieren. Im Folgenden werden die Hauptaussagen der Podiumsgäste zusammengefasst wiedergegeben.
Nestorova ging in ihrem Vortrag primär auf die Europaratskonvention zu Menschenhandel ein, die einige Jahre vor der EU-Richtlinie entstand und 2005 in Kraft trat. Die Konvention, die einen multidisziplinären Ansatz zur Bekämpfung von Menschenhandel und die vier Säulen, Prävention, Schutz, Strafverfolgung und Partnerschaft enthält, ist heute in 47 Ländern anwendbar. In Deutschland trat die Konvention im April 2013 in Kraft, woraufhin die Expert*innenkommission GRETA Deutschland 2014 zum ersten Mal evaluierte. Mittlerweile habe die zweite Evaluierungsrunde Deutschlands begonnen. Der zugehörige Bericht werde voraussichtlich Ende Mai 2019 veröffentlicht. Nestorova ging anschließend auf verschiedene Empfehlungen aus dem ersten GRETA-Bericht und deren Umsetzung in Deutschland ein. Eine erste Empfehlung GRETAs sei die Anpassung des deutschen Strafrechts an die internationale Definition gewesen, was mit der Strafrechtsreform 2016 schließlich umgesetzt wurde. Des Weiteren besage die Europaratskonvention in Artikel 10, dass die Identifikation Betroffener in Zusammenarbeit verschiedener Akteure, wie Behörden und NGOs, stattfinden soll.
Die zwei informationsreichen Konferenztage mit circa 150 Teilnehmer*innen unter anderem aus Justiz, Polizei, Zivilgesellschaft und Wissenschaft boten nicht nur die Möglichkeit und den Raum für Erfahrungsaustausch, sondern ermöglichten den Anwesenden zwei Jahre nach Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU einen Einblick in verschiedene Arbeitsbereiche und Institutionen, die in der Bekämpfung von Menschenhandel und Unterstützung der Betroffenen in Deutschland tätig sind. So wurden beispielsweise verschiedene Umsetzungsmaßnahmen der EU-Richtlinie von Seiten der Polizei vorgestellt, insbesondere auch bezüglich der neuen Straftatbestände. Es stellte sich jedoch auch heraus, dass unter anderem in Bezug auf allgemeine Unterbringungsmöglichkeiten, Unterstützungsmaßnahmen für männliche und minderjährige Betroffene sowie die Finanzierung von Unterstützungsmaßnahmen noch große Missstände bestehen.
Durch die Teilnahme internationaler Expert*innen aus Belgien, Großbritannien und Österreich wurde die Fachkonferenz um eine internationale Perspektive und Good-Practice Beispiele hinsichtlich Unterstützungsmöglichkeiten für Männer und Minderjährige, der Non-Punishment-Clause sowie des neuen Straftatbestandes der Ausbeutung zum Zwecke von erzwungenen Betteltätigkeiten bereichert.
In ihren Abschlussworten betonte Andrea Hitzke, Vorstandsmitglied des KOK e.V., dass Deutschland aus diesen Positivbeispielen lernen könne. Der KOK e.V. werde die Situation weiterhin evaluieren und Berichte aus der Praxis an die Politik herantragen.
Wie aus den Redebeiträgen der beiden Vertreterinnen der Europäischen Union, Myria Vassiliadou, der EU-Koordinatorin gegen Menschenhandel, und Petya Nestorova, der Generalsekretärin der Europarats-Konvention gegen Menschenhandel, hervorging, werde auch die EU die Entwicklungen in Deutschland weiterhin begleiten.
Sophia Wirsching, Geschäftsführerin des KOK e.V., betonte zum Abschluss der Konferenz, dass Menschenhandelsbetroffene Träger*innen von Rechten seien und dass diese auf verschiedenen Ebenen immer wieder eingefordert werden müssen, was unter anderem Aufgabe der vielfältigen bei der Fachtagung anwesenden Akteur*innen sei.