Podiumsgäste
Prof. Dr. Joachim Renzikowski, Lehrstuhl Strafrecht, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Klara Skrivankova, Projektkoordinatorin, Anti Slavery International, London
Evelyn Probst, Leitungsteam, Lefö IBF, Wien
Helga Gayer, stv. Leiterin Referat Menschenhandel, BKA
Mechtild Maurer, Geschäftsführerin, ECPAT Deutschland e.V.
Moderation: Ulrike Gatzke
Zunächst sprach Frau Kroeger, Leiterin des Referats II A 2 des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, die sich kurzfristig bereit erklärt hatte, den Sachstand bezüglich der Umsetzung der EU Richtlinie gegen Menschenhandel 2011/36 und der vorliegenden Formulierungshilfe des BMJV an den Rechtsausschuss des Bundestages vorzustellen.
Insbesondere stehe die Umsetzung der EU-Richtline zur Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer (2011/36) im Vordergrund. Um eine tiefgehende Reform garantieren zu können, sollen die gesetzgeberischen Maßnahmen in einem umfassenden Verfahren mit der Überarbeitung des Koalitionsvertrags verbunden werden. Die aktuellen Gesetzestexte zu Menschenhandel (§232, §233, §233a StGB) sollen dabei vollständig durch Regelungen ersetzt werden, die sich an den Phasen des Menschenhandels (Anwerben, Transport, Ausbeutung) orientieren. Stellungnahmen von Verbänden und Expert*innen, der Länder sowie verschiedener Ressorts zur Formulierung der neuen Gesetzgebung wurden eingeholt und werden derzeit im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ausgewertet. Nach einer Abstimmung in der Koalition soll das Gesetzgebungsverfahren zügig weitergeführt werden. Eine ausführliche Darstellung der Ausführungen von Frau Kroeger können Sie hier nachlesen.
Einführung in das Thema des Podiums
Prof. Dr. Joachim Renzikowski, Lehrstuhl Strafrecht, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,
"Strafbarkeit des Menschenhandels – Reformbedarf entsprechend der EU-Richtlinie 2011/36."
Eine Stellungnahme von Herrn Prof. Dr. Renzikowski von 2015 zu der Formulierungshilfe an den Rechtsausschuss zur Reform der §§ 232 ff. StGB im Kontext der Vorgaben der EU-Richtlinie können Sie hier einsehen.
Im Einführungsvortrag stellte Herr Renzikowski zunächst klar, dass, wenn von Menschenhandel
gesprochen wird, drei Ebenen unterschieden werden müssen: Rekrutierung (= Anwerbung), Logistik (=Befördern, Weitergabe; Handel) und Ausbeutung, die an sich nicht zum Menschenhandel im eigentlichen Sinne gehört, auch wenn das im deutschen Strafrecht immer so behandelt wurde und immer wieder zu Unklarheiten geführt hat. Mit Bezug auf das Modell der Pyramide von Norbert Cyrus wurden die Stufen von Ausbeutung1 grafisch dargestellt: Menschenhandel wie er in der Europaratskonvention beschrieben ist, nämlich als schwere Menschenrechtsverletzung, bezieht sich auf die beiden oberen Ebenen. Auf der unteren Ebene finden sich Fälle nichteingehaltender Schutzvorschriften oder nichtgezahlter Sozialabgaben. Hier geht es vorrangig um Verstöße gegen das Sozialsystem, nicht um den Schutz Einzelner. Prof. Renzikowski kritisierte unter anderem, dass es auch im neuen Entwurf keine „Ausbeutung light“ gibt, d.h. das Ausbeutung bei der keine Zwangselemente hinzukommen weiterhin nicht erfasst wird bzw. nur im Nebenstrafrecht für Nicht-EU-BürgerInnen (z.B. im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz).
Bezüglich Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung ist nach Prof. Renzikowski u.a. die Art und Weise kritikwürdig wie nun durch die vorgelegte Formulierungshilfe das Thema Freierstrafbarkeit neu diskutiert wird. Zwei Vorschläge (einmal im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie und dann im Rahmen der Reformierung des Sexualstrafrechts) sehen für nicht-einvernehmliche sexuelle Handlungen unterschiedliche Strafmaße vor. Unklarheit besteht auch in der Abgrenzung zwischen den Straftatbeständen der dirigistischen Zuhälterei und dem Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung.
Gegenwärtig ist zudem nie absehbar, welcher Straftatbestand letzen Endes angeklagt und verurteilt wird.
Hinsichtlich erzwungener Betteltätigkeit muss eine rechtliche Regelung eingeführt werden, die diese Form der Ausbeutung erfasst.
Die Ausnutzung strafbarer Handlungen ist aus Sicht Herrn Renzikowskis sehr schwierig zu regeln; hier passt das Bild der Pyramide nicht, da strafbare Handlungen grundsätzlich nicht begangen werden dürfen. Die Ausnutzung strafbarer Handlungen sei im Allgemeinen durch die deutsche Gesetzgebung abgedeckt (u.a. Anstiftung von Straftaten, mittelbare Täterschaft) aber es gibt es noch keine Regelung die Zwang zur Begehung strafbarer Handlungen einschließt. Zudem gibt es folgendes Problem: im Hinblick auf Minderjährige ist nach internationalen Vorgaben kein Zwang notwendig. Dies führt dazu, dass die vorgeschlagene Regelung problematisch ist, da möglicherweise jugendtypische Straftaten erfasst werden können (wenn z.B. Jugendliche von Gleichaltrigen für eine Mutprobe zum Klauen geschickt werden). Eine mögliche Lösung könnte sein, auf fortgesetzte Begehung abzuzielen.
Am Ende verwies Herr Renzikowski noch auf die österreichische strafrechtliche Regelung §104a, die klar strukturiert ist und zeigt, dass es durchaus möglich ist, in einer Norm die wesentlichen Voraussetzungen aufzunehmen.
- Helga Gayer, stellvertretende Referatsleiterin des Referats Menschenhandel im BKA gab zunächst Einblick in die besonderen Problemstellungen der polizeilichen Arbeit bei der Bekämpfung des Menschenhandels und forderte eine deutlich verbesserte praktische Handhabbarkeit der Straftatbestände. Insbesondere die Aufnahme von weiteren Ausbeutungsformen des Menschenhandels in die nationale Gesetzgebung, sowie eine kommende Schwerpunktsetzung auch auf Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft, brauchen eine multidisziplinäre Kooperation aller Akteure, sowie die Verbesserung der bestehenden gesetzlichen Regelungen zur effektiven Ahndung des Tatbestandes Menschenhandel. Aufgrund begrenzter Ressourcen muss es vor allem durch eine verbesserte Vernetzung gelingen, die Zusammenarbeit zwischen den bestehenden Gremien und Institutionen zu verbessern und redundante Strukturen zu beseitigen. Im Weiteren bedarf es eines Ausbaus von Unterstützungsmöglichkeiten für männliche und jugendliche Betroffene, sowie Betroffene mit Behinderung. Weitere Forderungen betreffen personelle Aufstockungen sowie einen erhöhten Ausbildungsbedarf in Fachberatungsstellen und Strafverfolgungsbehörden.
- Mechtild Maurer, Geschäftsführerin von ECPAT Deutschland e.V. („End Child Prostitution, Child Pornography and Trafficking of Children for Sexual Purposes”), geht auf Schwierigkeiten der aktuellen nationalen Gesetzgebung ein, die die Unterstützung von gehandelten Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen: es wird mit unklaren Begrifflichkeiten gearbeitet, zahlreiche Akteure mit unterschiedlich ausgeprägter Sensibilisierung und zum Teil unklaren Zuständigkeiten sind in die Unterstützung von minderjährigen Betroffenen von Menschenhandel involviert und Regelungen aus unterschiedlichen Gesetzesbereichen sind für die Arbeit der Organisation relevant. Handel mit Minderjährigen ist nicht nur eine Nebenform des Menschenhandels und müsse mit umfassenden und effektiven Maßnahmen angegangen werden. Insbesondere müssten die Schutzmöglichkeiten für geflüchtete Kinder und Kinder „on the move“, Kinder mit Behinderungen und Jungen verbessert werden und nationale Schutzkonzepte entwickelt und implementiert werden, um auch weitere Akteure als Kooperationspartner*innen zu gewinnen.
- Anschließend erörterten Klara Skrivankova, Projektkoordinatorin bei Anti Slavery International in London, und Evelyn Probst, Mitglied des Leitungsteams von Lefö IBF (Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel) in Wien die Umsetzung europäischer Rechtsrahmen in die nationalen Kontexte von Großbritannien, beziehungsweise Österreich.
- Die Menschenhandelsrichtlinie des Europäischen Parlaments (Richtlinie 2011/36/EU) wurde bereits 2013 durch eine Reform der nationalen Gesetzgebung in Österreich umgesetzt. Hauptpunkte dieser Reform waren die Aufnahme weiterer Ausbeutungsformen des Menschenhandels in die Gesetzgebung, sowie die Schaffung eines Koordinierungsmechanismus zur Verbesserung der landesweiten Zusammenarbeit. Eine landesweite Task Force in Österreich hat drei verschiedene Arbeitsgruppen, die sich mit den Themen sexuelle Ausbeutung, Arbeitsausbeutung und Handel mit Minderjährigen beschäftigen, als Koordinierungsmechanismen etabliert. Die Reform der österreichischen Gesetzgebung stellt einen Fortschritt dar, der aber noch praktischer Implementierungsmaßnahmen bedarf. Insbesondere bestehen noch Defizite bei der Unterstützung und dem Schutz männlicher Betroffener von Menschenhandel sowie bei der Umsetzung der so genannten „Non punishment clause“, also die Straffreiheit für Betroffene von Menschenhandel. Unterstützungsangebote für männliche Betroffene und minderjährige Betroffene wurden zum Teil bereits geschaffen.
- Die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Menschenhandel ist in Großbritannien bereits erfolgt. Dort gab es 2014 eine Gesetzesänderung mit der Verabschiedung des Gesetzes zu Moderner Sklaverei. Im Vereinigten Königreich gibt es aufgrund der Strukturen mit administrativ unabhängigen Ländern eigentlich drei verschiedene Gesetze zum Thema Menschenhandel: Das Gesetz gegen moderne Sklaverei (gilt in England und Wales, Teile des Gesetzes gelten aber für das ganze Land), das Gesetz gegen Menschenhandel und Ausbeutung von 2014 in Nordirland und das Gesetz gegen Menschenhandel und Ausbeutung von 2015 in Schottland. Die Straftaten sind ähnlich definiert, aber in anderen Bereichen, z.B. in Bezug auf Opferschutz gibt es Unterschiede. Vor allem gibt es aktuell in England viele Fälle von Ausbeutung der Arbeitskraft, zum Teil mit Elementen von Menschenhandel. Dass die Identifizierung von Fällen zur Arbeitsausbeutung im Vergleich zu Fällen von sexueller Ausbeutung zur Zeit überwiegt, liegt vor allen Dingen daran, dass der Fokus in Großbritannien auf diese Form von Menschenhandel gelegt wurde und Sensibilisierungsmaßnahmen effektive Identifikationsstrukturen geschaffen haben. Fälle von vietnamesischen Migrant*innen, darunter sehr häufig Kinder und Jugendliche, die zur Arbeit auf Marihuana Plantagen gezwungen wurden, haben insbesondere öffentliches Interesse geweckt. Auch gäbe es vermehrt Fälle zu Menschenhandel zur Ausbeutung von Bettelei oder zur Ausnutzung strafbarer Handlungen. Vor einigen Jahren gab es einen großen Fall mit rumänischen Betroffenen, v.A. Frauen und Kinder. Hierzu wurde die so genannte „Operation Golf“ ins Leben gerufen; gemeinsame rumänisch/englisches Ermittlungsteams. In diesem Bereich gibt es also bereits viel Erfahrungen. Vulnerable Gruppen in Großbritannien umfassen ebenfalls Staatsbürger*innen, v.a. obdachlose Personen, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit Suchtverhalten, die in Europa Opfer von Ausbeutung werden. Aktuelle Diskussionen im nationalen Kontext betreffen vor allem das zunächst gegebene Einverständnis von Betroffenen von Menschenhandel, welches laut Richtlinie unerheblich sein muss.
Die anschließende Diskussion berührte unter anderem Aspekte der Opferschutzmaßnahmen, die in der EU-Richtlinie aufgeführt sind. Die Nichtstrafbarkeit von Betroffenen von Menschenhandel („non-punishment-clause“) ist in der deutschen Gesetzgebung nicht entsprechend den Voraussetzungen der EU Richtlinie 2011/36 geregelt. Auch in England ist die Straffreiheit von Betroffenen für Straftaten, die als direkte Folge ihrer Ausbeutung geschahen, nicht immer gewährleistet, obwohl es seit Juli 2015 ein entsprechendes Gesetz gibt, das die Straffreiheit regelt. Dieses lässt allerdings viele Ausnahmen zu. Im Weiteren wurde ebenfalls die Konzentration auf Zeug*innenaussagen bei Fällen von Menschenhandel diskutiert. Die Regelung dass Aufenthaltstitel von Betroffenen an die Bereitschaft zur Aussage geknüpft sind, wurde kritisch beleuchtet. Um Maßnahmen zum Opferschutz bieten zu können, die den Vorgaben der Richtlinie entsprechen, müssten Aufenthaltstitel auch nach den Verhandlungen bereit gestellt werden.
In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass Menschenhandel eng verknüpft ist mit der ökonomischen zum Teil sehr schlechten Situation der Betroffenen. Dies sei auch erst in diesem Jahr erneut durch eine aktuelle Studie der Grundrechteagentur FRA zu Arbeitsausbeutung bestätigt worden. Daher ist es auch so wichtig, dass ein ökonomischer Ausgleich für die Betroffenen durch eine entsprechende Kompensation (durch Schadensersatz, entgangenen Löhne etc.) stattfindet.
Evelyn Probst plädiert dafür, von der bisherigen Konzentration politischer Maßnahmen auf die Identifikation von Betroffenen abzuweichen und anstatt dessen die Identifizierung von Ausbeutungssituationen mehr in den Fokus zu stellen und somit schnelle Reaktionen auf die tatsächliche Ausbeutung zu gewährleisten.
Klara Skrivankova weist zum Abschluss der Diskussion darauf hin, dass zur effektiven Bekämpfung von Ausbeutungssituationen eine Reform der politischen Ökonomie nötig sei, um bestehende Machtungleichheiten anzugehen und damit Ausbeutung von vulnerablen Gruppen vorzugreifen. Hierzu ist der politische Wille notwendig. Menschenhandel rein strafrechtlich bekämpfen zu wollen, reicht nicht aus.