Neben Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung sowie zur sexuellen Ausbeutung gibt es weitere, in der Öffentlichkeit bislang weniger bekannte Formen des Menschenhandels und der Ausbeutung.
Laut EU-Richtlinie ist erzwungene Betteltätigkeit als eine Form der Zwangsarbeit oder der erzwungenen Dienstleistung im Sinne des Übereinkommens Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verstehen. Daraus folgt, dass die Ausbeutung von Betteltätigkeiten unter die Definition von Menschenhandel fällt, wenn Mittel wie Androhung oder Anwendung von Gewalt oder andere Formen der Nötigung oder Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit angewandt werden. Auch in Deutschland werden Personen zum Betteln gezwungen und müssen ihre Einnahmen oft vollständig abliefern. Betroffen sind häufig Frauen mit Kleinkindern oder Menschen mit Behinderungen. Eine Kontaktaufnahme mit den Betroffenen sowie ihre Unterstützung, gestaltet sich – insbesondere bei Minderjährigen –, wie Berichte aus der Praxis aufzeigen, als sehr schwierig.
Einige spezialisierte Fachberatungsstellen gegen Menschenhandel berichten seit geraumer Zeit von Fällen, in denen Personen zum Betteln gezwungen werden und ihre Einkünfte abgeben müssen. Dabei kann das Betteln verschiedene Formen annehmen, wie zum Beispiel stilles Betteln, der Verkauf von kleinen Gegenständen weit über deren tatsächlichen Wert oder Anbieten von Dienstleistungen, wie das Putzen von Autofenstern.
Im Bereich der erzwungenen Bettelei ist es laut Erfahrungen der Beratungsstellen außerordentlich schwierig zu erkennen, wer dazu von anderen Personen gezwungen und ausgebeutet wird und wer „nur“ aufgrund von Armut und mangelnder alternativer Möglichkeiten auf der Straße um Unterstützung bettelt. Gerade in diesem Bereich besteht eine besondere Gefahr der Stigmatisierung, eine vorschnelle Zuordnung bestimmter Personengruppen muss also vermieden werden. Eine Kontaktaufnahme seitens der Beratungsstellen und die Unterstützung der Betroffenen gestaltet sich laut Erfahrung der spezialisierten Fachberatungsstellen als sehr schwierig.
Anhaltspunkte für erzwungene Bettelei können den Fachberatungsstellen zufolge zum Beispiel sein, wenn die Personen von Dritten zu den Bettelstandorten gebracht und abgeholt werden, sich bei Kontaktaufnahme nervös umblicken, oder die Bettelnden kontrolliert werden und ihre Einnahmen abgeben müssen. Verschiedene Ausbeutungsformen können sich mischen und Personen können gleichzeitig zum Betteln und Stehlen gezwungen werden oder müssen zusätzlich der Prostitution nachgehen.
Eine weitere Form des Menschenhandels ist das Ausnutzen von strafbaren Handlungen. In Deutschland sind u. a. Fälle bekannt geworden, in denen Personen gezwungen wurden, Kreditkartenbetrug oder Diebstähle in Kaufhäusern zu begehen oder Personen beim Geldabheben vor EC-Automaten zu überfallen. Die erbeuteten Güter oder gestohlenen Geldsummen werden von den Hintermännern eingezogen. Eine besonders aus Großbritannien und den Niederlanden bekannte Methode ist, (minderjährige) Migrant*innen, überwiegend aus Vietnam, in illegalen Marihuana-Plantagen einzuschließen und arbeiten zu lassen. Bei Razzien werden diese Personen dann oft als Täter*innen festgenommen und nicht als Opfer von Menschenhandel erkannt.
Laut EU Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels (2011/36/EU, Erwägungsgrund 11) soll der Ausdruck „Ausnutzung strafbarer Handlungen“ als Ausnutzung einer Person zur Begehung unter anderem von Taschendiebstahl, Ladendiebstahl, Drogenhandel und sonstigen ähnlichen Handlungen verstanden werden, die unter Strafe stehen und der Erzielung eines finanziellen Gewinns dienen.
Durch die Strafrechtsänderung, mit der im zweiten Halbjahr 2016 die EU Richtlinie in Deutschland umgesetzt wurde, wurde auch die Ausnutzung strafbarer Handlungen, die unter Zwang begangen wurden, unter Strafe gestellt. Die Gesetzesbegründung ist eng an die Formulierung in der Richtlinie angelehnt. Abweichend von der Terminologie der Richtlinie wird im Gesetz aber nicht auf die konkrete Strafbarkeit einer Handlung des Opfers abgestellt, sondern darauf, ob es sich um eine grundsätzlich mit Strafe bedrohte Tat handelt. So soll sichergestellt werden, dass beispielsweise auch Fälle, in denen nicht strafmündige Kinder zu Straftaten gebracht werden, erfasst sind.
Auch bei anderen Formen des Menschenhandels, wie der sexuellen Ausbeutung, ist bekannt, dass Täter*innen versuchen, die Betroffenen damit unter Druck zu setzen, dass sie gegen rechtliche Vorschriften verstoßen haben, wie zum Beispiel gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen oder das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz. Es wird damit gedroht, die Verstöße bei der Polizei oder Ausländerbehörde zu melden und damit nachteilige Konsequenzen für die Betroffenen in Gang zu setzen. Bei der Ausnutzung strafbarer Handlungen wird dieses Druckmittel um ein Vielfaches verstärkt und Betroffene haben auf Grund der von ihnen begangen Straftaten Angst, sich aus der Situation zu befreien. Neben dem Druckmittel, das Täter*innen durch das Verwickeln der Betroffenen in Straftaten in der Hand haben, kann diese Art des Menschenhandels auch sehr lukrativ sein – so erhalten die Täter*innen die Gewinne aus den Straftaten, verlagern aber das Risiko beim Begehen einer Straftat erwischt zu werden auf die Betroffenen.
Auch der Handel in die Ehe/Heiratshandel stellt eine Art des Menschenhandels dar; hierbei werden Personen im Rahmen der Heiratsmigration bewusst getäuscht oder durch verschiedene Mittel zur Heirat gezwungen. Die Selbstbestimmung der betroffenen Person ist stark eingeschränkt und sie erfährt in der Regel sexuelle, physische und/oder psychische Gewalt.
Heiratsmigration an sich kann ohne Zwang und Druck von außen stattfinden. Heiratsmigration meint allgemein die Tatsache, dass Migrantinnen (nach Erfahrungen der Fachberatungsstellen sind von dieser Form des Menschenhandels überwiegend Frauen betroffen, daher sprechen wir im Folgenden von Frauen) auf dem Wege der Migration ihr Herkunftsland verlassen, um eine Ehe einzugehen bzw. eine geschlossene Ehe in ihrem Herkunftsland zum Anlass nehmen, um in das Aufenthaltsland ihres Ehepartners zu migrieren. Große Armut und Perspektivlosigkeit im Herkunftsland sind verständliche Gründe dafür, dass Frauen durch eine Eheschließung mit einem Mann aus einem wirtschaftlich stärkeren Land versuchen, eine ökonomisch abgesicherte Perspektive für sich und oft für das Überleben der eigenen Familie zu finden.
Vom Handel in die Ehe oder Heiratshandel sprechen wir jedoch dann, wenn Frauen im Rahmen der Heiratsmigration bewusst getäuscht oder ausgebeutet werden, sie mittels List, Zwang oder Schuldknechtschaft gezwungen werden, in einer Ehe zu verbleiben, ihre Selbstbestimmung eingeschränkt wird, sie sexuelle, physische oder psychische Gewalt erleiden. Handel in die Ehe ist eine Form des Menschenhandels und der Ausbeutung, wenn diese so auch nicht im Strafgesetzbuch erfasst ist.
Es passiert häufiger, dass migrationswilligen Frauen von anderen Personen, Heiratsagenturen oder (zukünftigen) Ehemännern falsche Versprechungen gemacht werden und sie dabei bewusst nicht oder nicht ausreichend über ihre rechtliche Lage informiert werden. Der tatsächliche Zweck der Eheschließung wird den Frauen in solchen Fällen selbstverständlich nicht transparent dargestellt. In Deutschland angekommen, sehen sich derart getäuschte Frauen oft verschiedenen Formen der Gewalt oder Ausbeutung durch die Täter*innen und/oder ihrer Ehemänner ausgeliefert.
Kennzeichnend ist auch hier, dass Ehemänner oder Dritte einen Vorteil von der Ausbeutung der Frau erlangen – dieser Vorteil kann sowohl finanzieller, materieller oder auch sexueller Natur sein. Die betroffenen Frauen selbst befinden sich in einem totalen Abhängigkeitsverhältnis von ihrem künftigen, vermeintlichen oder tatsächlichen Ehemann oder aber anderen Dritten wie unseriösen Agenturen, Menschenhändlern und Vermittlern. Eine Facette dieses Handels ist die Schuldknechtschaft: angebliche Schulden für die Vermittlung eines Ehemannes, die Reise und die Einreisegenehmigung nach Deutschland sollen zurückgezahlt werden. Dies bringt die Frauen in einen enormen Druck und macht sie erpressbar, ausbeutbar. Aufgrund des bewusst gesteuerten Schuldendrucks sehen die Frauen sich dann gezwungen, menschenunwürdige Forderungen hinsichtlich der Eheschließung oder in der Ehe zu erfüllen.
Die Grenzen zwischen Handel in die Ehe und Migration, die ohne Zwang, Täuschung, Ausbeutung oder Gewalt abläuft, sind fließend. Frauen können auch durch eine selbstbestimmte Heirat in Lebenssituationen geraten, in denen sie aufgrund ihres unsicheren Aufenthaltsstatus, ihrer geringen Kenntnisse von Sprache, Gesetzen und sozialen Angeboten in Deutschland Abhängigkeits- und/oder Ausbeutungsverhältnissen ausgesetzt sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch eine bewusst getroffene Entscheidung für eine Form der Heiratsmigration angesichts des weltweiten Wohlstandsgefälles und der strukturellen Benachteiligung von Frauen nicht immer und grundsätzlich mit Freiwilligkeit gleichzusetzen ist.
Begrifflich ist der (Frauen)Handel in die Ehe/Heiratshandel von der Zwangsverheiratung abzugrenzen. Unter der Zwangsheirat, welche im § 237 StGB geregelt ist, wird verstanden, dass eine Person zur Eingehung der Ehe genötigt wird. Die Nötigung kann mittels Drohung oder Gewalt erfolgen. (Mehr Informationen zum Thema Zwangsverheiratung finden sich auf der Webseite von Terre des femmes).
Eine weitere Form des Menschenhandels ist der Adoptionshandel, der in Deutschland in § 236 StGB, missverständlich als „Kinderhandel“ bezeichnet, geregelt ist und den Handel mit Kindern zum Zwecke der Adoption unter Strafe stellt.
Eine weitere Form des Menschenhandels ist der Menschenhandel zum Zwecke der Organentnahme, welcher von der EU-Richtlinie als eine schwere Verletzung der Menschenwürde und körperlichen Unversehrtheit bezeichnet wird. Hierbei werden Personen gegen ihren Willen bzw. unter Ausnutzung einer Zwangslage Organe entnommen. In Deutschland sind bisher sehr wenige Fälle von Menschenhandel zum Zwecke der Organentnahme bekannt geworden. Auch weltweit ist diese Form bisher wenig untersucht worden. Eine Erhebung verlässlicher Informationen war bislang nicht möglich.